
Stalking ist wie eine Art Sucht: Man beobachtet den anderen und will über jeden Schritt Bescheid wissen. Doch wie genau man den anderen auch beobachtet: Es gibt keine Beruhigung. „In unserer Beratungsstelle lernen Stalker, wie sehr sie dem anderen damit Angst machen“, sagt ein Therapeut im Fernsehen. Doch darüber, was mit dem Stalker selbst ist, wird viel zu wenig gesprochen. Wer stalkt, der versteht sich selbst nicht mehr. Dabei ist es wichtig, sich selbst zu verstehen, um mit dem zwanghaften, suchtartigen Verhalten aufhören zu können. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Eine Frage der Beziehung. Stalking ist eine Frage der Beziehung. Meistens beobachtet der Stalker eine Ex-Freundin, die sich von ihm abgewendet hat. Der Stalker hat den Schmerz des Zurückgestoßenseins nicht verkraftet. Es macht ihn bis auf’s Äußerste wütend, verlassen worden zu sein. Dahinter stecken oft unerträgliche Ängste und Schmerzen. Krampfhaft versucht er, die „Verflossene“ zurückzugewinnen.
Dahinter steckt die Angst
Schaut man jedoch einmal hinter die Kränkung, hinter die Wut und hinter das Verhalten, so kann man oft beobachten, dass der eigentliche Motor des Stalkings die Angst ist. Nicht selten haben Stalker eine Kindheit erlebt, in der sie in unvorstellbarer Not waren und wo es niemanden gab, der sie daraus befreite. Kinder, die Gewalt erleben, die gequält und verlassen wurden, hoffen immer auf einen Retter – das kann zum Beispiel der Vater sein, wenn die Mutter Gewalt ausübt oder umgekehrt. Doch sehr oft kommt es vor, dass der andere Elternteil einfach wegschaut und das Kind völlig alleingelassen ist. Das kleine Kind, das sich verlassen fühlt, hat als Erwachsener panische Angst davor, dieses Gefühl wiederzuerleben. Das Gefühl, das beim Erwachsenen durch die Trennung reaktiviert wird, ist wirklich un-er-träglich.
Die Mutter ist alles
Ist das verletzte Kind großgeworden, dann fällt es ihm unter Umständen schwer, allein zu sein. Vielleicht ist der Kontakt zu anderen Menschen gestört. Vielleicht fällt es dem Stalker schwer, befriedigende Beziehungen zu führen. Die Freundin (bei Frauen der Freund) wird zum „Ein und Alles“. Die Freundin/der Freund ist für den Betroffenen gefühlsmäßig genauso wichtig, wie es einmal die Mutter für das Baby war. Wendet sich eine Mutter vom Baby ab, stirbt das Baby, wenn kein „Retter“ da ist. Wendet sich die Freundin/der Freund ab, kann der Betroffene das Gefühl bekommen, zu sterben. Verzweifelt versucht er, die Verbindung wieder herzustellen. Manchmal beruhigt es den Stalker, wenn er an der nächsten Straßenecke steht und seine Exfreundin beobachten kann. Er sieht: Der andere ist noch immer da, er ist nicht vollkommen weg. Doch bald kommt wieder die Verzweiflung auf: „Der andere ist zwar da, aber ist nicht für mich da.“
Die Sucht
Süchtig wird man immer dann, wenn man keine echte Befriedigung erhält. Den anderen zu beobachten und alles über ihn zu wissen, befriedigt nicht, weil eben kein echter Kontakt da ist. Das ist unglaublich schwer auszuhalten. „Dann muss ich eben noch genauer beobachten“, denkt der Stalker und verstärkt sein Verhalten wie ein Zwangskranker. Wenn er dann von der Gegenseitige ein gerichtliches Verbot erhält, spornt ihn das unter Umständen nur noch mehr an. Dann ist das Verbot, dann ist die „Reibung“ das Handfeste, das ihm Halt gibt. Es weckt den Trotz und verstärkt das Verhalten unter Umständen auf anderer Ebene. Das Verbot ruft Wut hervor und lenkt von dem ursprünglichen Verzweiflungsgefühl, vom ursprünglichen Schmerz ab.
Rauskommen
Die Betroffenen können diesem Kreislauf dann entfliehen, wenn sie nicht mehr einsam sind, wenn sie irgendwo einen „echten“ Kontakt finden, wenn sie wirklich verstanden werden. In einer Psychoanalyse ist der Analytiker „immer da“ und das für lange Zeit. Der Betroffene kann hier seinen Schmerz neu erleben und Veränderung erfahren. Das dauert in der Regel sehr, sehr lange. Aber der Betroffene kann mit Recht auf Besserung hoffen – die Erfahrung von besseren Beziehungen zu anderen führt auch zu einer besseren Beziehung zu sich selbst. Sobald sich der Stalker nicht mehr „mutterseelenallein“ fühlt, kann er seine Kontrolle aufgeben.
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Therapeutenadressen:
Buchtipp:
Georg Bruns (DPV), Frank Winter (Herausgeber):
Stalking – zwischen Liebeswahn und Strafrecht
Psychosozial-Verlag 2014
Dieser Beitrag erschien erstmals am 14.2.2014
Aktualisiert am 22.2.2019
Dunja Voos meint
Lieber AnonymerStalker,
vielen Dank für Ihren berührenden Bericht. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Psychoanalyse wirklich etwas verändert und wünsche Ihnen dafür alles Gute! Ein schmerzhafter und langer Weg wird es wahrscheinlich sein, aber der Leidensdruck, so furchtbar quälend er auch ist, hilft oft dabei, den Weg weiter zu gehen!
Dunja Voos
anonymerstalker meint
Liebes Stalking-Opfer,
ich war mal ein Stalker oder vielleicht bin ich es immer noch, dadurch dass ich noch jeden Tag an meine Ex denken muss und nach Jahren nachts weine, weil ich sie so sehr vermisse. Ich kann es verstehen, dass Sie leiden. Wenn man täglich in der Angst lebt, wieder angerufen zu werden, auf die Straße zu gehen, weil jemand wieder und wieder die eigenen Grenzen überwinden hat, ist das keinesfalls witzig. Ich weiß nicht wie weit ihr Ex gegangen ist, aber lassen Sie mich eines sagen:
Stalker leiden! Sie leiden unglaublich stark!! Ich habe ein Jahr lang eine Ex-Freundin „gestalkt“. Anrufe, SMS, Facebooknachrichten, Whatsapp. Ich wollte das in keinster Weise. Jeden Tag habe ich mir gesagt, dass ich aufhören muss, dass ich es aushalten muss, dass ich ein schrecklicher Mensch bin.
In dem Moment als sie sich getrennt hat und mir jede Art der Erklärung verwehrt hat, alle meine Gefühle als unbedeutend dargestellt hat und mich am Telefon ausgelacht hat, ist etwas in mir kaputt gegangen. Sie denken jetzt: „Dass gibt mir noch lange nicht das Recht… Ich wurde auch schon verlassen.“ Nein, das tut es nicht. Ich wusste vom ersten Moment an, dass es falsch war, aber ich konnte nicht aufhören. Es war wie ein Zwang. Ich musste jede Sekunde an sie denken. Ich habe wortwörtlich wie ein Kind gefühlt, dass von seiner Mutter verlassen wurde. Ich dachte ich müsste sterben. So muss ich mich gefült haben als meine Mutter mich als Kleinkind verließ und mir den Kontakt verwehrte.
Ich habe mich freiwillig bei StopStalking gemeldet. Wissen Sie was deren Antwort war? „Sie nehmen sich jetzt mal einem Zettel und dokumentieren jede halbe Stunde was Sie tun und wie hoch der Stalkingdruck ist, damit wir rausfinden können warum Sie stalken.“ Ich hab das versucht. Es hat nichts gebracht. Es war so ziemlich egal was ich tat. Der Schmerz war immer da. Die haben sich nicht für meinem Schmerz interessiert. Die wollten nur, dass ich aufhöre. Ich habe jeden Tag daran gedacht mein Leben zu beenden. So sehr habe ich mich gehasst. Wie um Himmels Willen hätte mir das helfen sollen? Es gab nichts zu checken, es gab keinen Schalter zum umlegen. Ich hätte solch einen Schalter sehr gerne gehabt. Das können Sie mir glauben!
Aufgehört habe ich nicht deswegen. Nicht wegen der Anzeige. Nicht wegen den Menschen, die mich als krank bezeichnet haben. Aufhören konnte ich als mir eine Therapeutin mir zum ersten Mal zugehört hat. Als sie mich mütterlich ansah und meinen Schmerz ernst genommen hat. Als sie Verständnis hatte und mir gesagt hat, dass meine Ex einfach nicht versteht, wie ich mich fühle.
Danach kam noch ein Jahr in dem ich sie zwar nicht angerufen habe, aber doch ständig an sie gedacht habe. Vor ein paar Monaten habe ich einen Bekannten von ihr getroffen. Ich bin mir sicher er kannte mich und ist deshalb auf mich zugekommen, auch wenn er das nicht zugegeben hat. Nach zwei Jahren habe ich zum ersten Mal mit jemandem reden können, der sie kennt. Zwei Jahre war ich alleine damit, abgetrennt. Sie wissen gar nicht wie gut das getan hat mit jemandem zu reden, der sie kennt, wenn auch nur flüchtig. Ich habe geweint. Es war so erleichternd. Es war ein kleiner Ersatz für das Gespräch, das sie hätte mit mir führen sollen, nach all den Hoffnungen, die sie mir gemacht hat. Sie wusste von meiner jahrelangen Beziehungslosigkeit und auch von meinen Verlustängsten.
Ich weiß aber, dass ich ein Problem habe. Ein sehr großes sogar! Damit muss ich leben. Ich bin ein gutaussehender junger Mann und es gibt viele Frauen, die interessiert an mir sind. Seit dieser Sache habe ich unglaubliche Angst wieder etwas mit einer zu beginnen. Ich werde mich damit abfinden müssen, dass ich vielleicht nie eine Beziehung führen kann. Ich habe in den letzten Jahren mehrere Therapien versucht. Die ganzen Verhaltentherapien, Klinikaufenthalte etc. haben mir nicht geholfen und jetzt ist die Psychoanalyse meine letzte Hoffnung. Vielleicht werde ich irgendwann mit 40 meine erste richtige Beziehung führen. Wenn ich dann noch Lust zu leben habe.
Ich leide. Ich leide sehr. Seit ich 15 bin wünsche ich mir nichts anderes als jemanden an meiner Seite. Ihr Leid gibt Ihnen nicht das Recht mich zu entmenschlichen und mir das Recht auf Hilfe abzusprechen. Frau Voos hat in jeder Hinsicht recht, auch wenn Sie das in ihrer schwarz-weißen Welt nicht verstehen können. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bald in Frieden weiterleben können. Ich weiß, dass ich nicht erwarten kann, dass Sie mir wünschen, was es heißt zu vertrauen und jemand an meiner Seite zu haben.
Der unmenschliche Stalker
anonym meint
Unter der großen Menge der Stalker mag es auch einige geben, die nicht wissen, dass ihr Verhalten Angst bei den Opfern auslöst.
Stalking ist eine Gewalttat, viele Täter stalken gerade im Wissen um die Angst etc., die sie beim Opfer auslösen. Und natürlich befriedigt dieses Verhalten die Täter, wie auch Alkohol den Alkoholiker kurzfristig befriedigt. Ohne Lustgewinn keine Sucht, insofern ist der Kommentar hier, dass es den Tätern Spaß macht absolut korrekt (das geben auch Täter bisweilen zu).
Ich halte es durchaus für möglich, dass ein gewisser Teil der Täter die von Ihnen benannte Beziehungsproblematik aufweist, wie ebenfalls eine erhebliche Anzahl an Menschen, die niemals ein Stalking-Verhalten an den Tag legen werden.
Deshalb müsste ein Behandlungsansatz meiner Meinung nach auf das mangelnde Unrechtsbewusstsein und den oft bewussten Schädigungswillen der Täter abzielen. Wobei fraglich ist, ob das überhaupt therapierbar ist.
Den sich daran versuchenden Therapeuten wünsche ich auf jeden Fall viel Glück, es ist bekannt, dass Stalkerpersönlichkeiten häufig Wiederholungstäter sind und nicht selten die von berufswegen eine persönliche Beziehung versagenden Therapeuten ins Visier geraten. Für diese ist es dann ganz besonders von Bedeutung, die Gefährlichkeit eines Stalkers nicht zu unterschätzen oder zu verharmlosen, wie der Artikel hier den Anschein gibt.
Dunja Voos meint
Liebe „Stalkingopfer meint“,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich weiß, dass die Menschen, die gestalkt werden, ganz furchtbar leiden. Schlaflosigkeit ist nur eines von vielen Symptomen – manche Menschen können richtig krank davon werden.
Dennoch glaube ich, dass die Behandlung des Stalkers ein guter Schutz für die Opfer ist.
Sie schreiben: „EIn Stalker hat keinen Leidensdruck. Er hat Spaß daran.“
Meine Erfahrung als Therapeutin ist eine grundlegend andere: Viele Stalker leiden ganz entsetzlich und benötigen dringend gute Hilfe. Und zwar nicht nur „Verhaltenstherapie“ im Sinne von: „Wir üben das jetzt mal zu stoppen.“ Sie brauchen grundlegende Hilfe, bei der ihre inneren Nöte verstanden werden. Die Erfahrung des Stalkers, dass er selbst in der Therapie Halt findet und verstanden wird, führt in der Regel dazu, dass er das Stalken endlich aufgeben kann.
Stalking-Opfer meint
Es gibt ein Liedtext
„Es könnte alles so einfach sein.
Ist es aber nicht.“
Liebe Frau Dr. Voos,
sind Sie schon mal gestalkt worden?
Ich denke nicht.
Wie viele Stalker kennen Sie persönlich?
Die wenigsten Stalker wollen sich helfen lassen.
ich gebe ihnen ein Beispiel:
Mein Schwiegervater stalkt seine in Trennung lebende Frau,
seine eigene Tochter und neulich lauerte er der Enkeltochter auf….
Für das Stalking der Tochter und Enkeltochter ist er sogar über 600 km gefahren!
MEHRFACH.
Er (ich habe die Definitionen genau gelesen) ist ein PSYCHOPATH.
Er hat keinerlei Angst und lauert trotz Hausverbotes irgendwo auf.
In das Auto der Ehefrau (in Trennung ) hat er einen GPS-Tracker eingebaut.
Er weiß also,wo sie ist – jederzeit.
Den GPS-Tracker an unserem Auto habe ich entfernt…
Wann wollen Stalker von selbst mit dem Stalken aufhören?
Wen deren Leidensdruck am höchsten ist.
Mein Schwigermonster hat keinen Leidensdruck.
Für ihn ist es ein Katz-und-Maus-Spiel…
Sein Jagdinstinkt ist geweckt…
Darüber hinaus lügt er – nicht nur sogenannte Notlügen.
Er lügt, weil es ihm Spaß macht.
Er erfindet Dinge….
Er lügt auch seine Therapeuten an… er lügt in der Paarberatung ….
Stalking wird in diesem Artikel verharmlost.
Stalker werden hier als Opfer ihrer Umgebung und ihrer Vergangenheit dargestellt.
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>>Doch darüber, was mit dem Stalker selbst ist, fällt kein Wort. <> Wer stalkt, der versteht sich selbst nicht mehr.<> Dabei ist es wichtig, sich selbst zu verstehen, um mit dem suchtartigen Verhalten aufhören zu können.<<
Das stimmt zwar.
Aber Akkoholsucht ist nicht vergleichbar mit STALKERN.
EIn Stalker hat keinen Leidensdruck.
Er hat Spaß daran…..
Unser Stalker will gar nicht aufhören….
er wird weitermachen.
Und jetzt mal wieder zurück zu den Opfern….
ICH FÜHLE MICH HILFLOS….
WIe schütze ich meine Tochter?
Die Polizei sagt, der Opa wird doch der Enkelin nichts tun….
Und was wird nun aus meiner 6-jährigen Tochter?
Wird sie durch die gefühlte Hilflosigkeit auch irgendwann eine Borderlinerin oder Psychopathin?
Weil das, was Sie über die armen Stalker geschrieben haben, heute auch auf meine Tochter zutrifft?
Wird Stalker-Verhalten nicht so von Generation auf Generation übertragen?
Bitte verzeihen Sie,
der Artikel geht mir nicht genug in die Tiefe.
Die Anatomie der Physis ist leicht auswendig gelernt.
Einen Rohen-Atlas der Psyche oder gar des Stalkings gibt es leider noch nicht,
weil es noch keine Psycho-Anatomen gibt und weil nicht ein Mal das psychische Skalpel erfunden ist…. es gibt nicht ein Mal eine brauchbare Theorie des Stalkings.
Jay meint
Interessanter Kommentar von Herrn Hoffmann.
Die Welt in gut und böse aufzuteilen ist die Garantie dafür, dass man sie nie verstehen wird.
Als könnte man alles Böse der Welt ausmerzen, indem man es im vermeintlichen „Feind“ manifestiert und
diesen dann zur Rechenschaft zieht.
Das Problem daran ist, dass sich jeder selber für den Guten hält und der Böse immer der andere ist.
Jens Hoffmann meint
Völlig falsch. Sie helfen dem Feind!