Wie wir mit Kriegsangst leben können

in diesen tagen fürchten wir uns vor krieg – wie groß unsere kriegsangst ist, hängt von der jeweiligen nahtrichten und der politischen lage ab, aber auch davon, wie alt wir sind, ob wir schon krieg und flucht erlebt haben, ob wir allein sind oder kinder haben oder was wir von unseren eltern und großeltern transgenerational vom krieg mitbekommen haben. in unserer phantasie können wir vieles aushalten, doch wenn wir die realität eines krieges erleben, sind wir uns sicher, dass wir das nie mehr wollen.
manche kriegseindrücke von nahen verwandten waren so stark, dass wir gefühl haben, es hautnah und real miterlebt zu haben. hinzu ist es schwer, diktatoren zu sehen, die nicht mehr „mensch“ zu sein scheinen. wenn wir die bilder der zerstörung sehen, überkommt uns masslose wut und das gefühl: da muss doch was geschehen!
wut und angst gehen oft zusammen – in der mitte stehen hilflosigkeit und ohnmacht. wir können etwas nicht mehr kontrollieren, wissen nicht, was in anderen vorgeht und was sie vorhaben. je nachdem, wie wir aufwuchsen, wissen wir, wie sich wahnsinnige, narzisstische mütter, väter oder geschwister anfühlen und welchen eindruck sie hinterlassen. es gibt menschen (in bestimmten zuständen oder generell), mit denen man tatsächlich nicht reden kann. wir sehen, dass es das böse gibt.
wir spüren selbst unsere zerstörungswut und befürchten, dass andere das auch haben. es geht uns vielleicht so schlecht, dass wir unsere eigene existenz oder auch die existenz der anderen für unerträglich und lebensunwert halten. wenn wir nichts mehr zu verlieren haben, brauchen wir auch keine rücksicht mehr auf andere zu nehmen – so stark können wir in unserer verzweiflung verloren sein. und wir befürchten, dass machthaber vielleicht ebenso fühlen in ihrer blinden wut und alles zerstören. doch auch wut hat grenzen.
„Das Schicksal der Menschen hängt von wenigen Menschen ab. … Der Haufen entscheidet nie … Ich lass mich jetzt verglühen.“ Hans Urs von Balthasar, Youtube
kriegsangst ist oft auch ein ausdruck davon, wie wir die anderen um uns herum wahrnehmen und was wir mit ihnen erleben. hören wir politiker oder freunde, die von aufrüstung und kriegsbeteiligung sprechen, verstärkt sich unsere angst vielleicht. finden wir vorbilder und weise politiker, die mögliche wege zum frieden beschreiben, geht es uns wahrscheinlich wieder besser – auch, wenn die situation zunächst dieselbe geblieben ist.
„komm doch, komm doch!“, rufen wir im traum dem ungeheuer zu. doch wenn es uns dann plötzlich verfolgt, wünschten wir, wie hätten es nie gerufen. als kinder haben wir vielleicht so gespielt. wenn wir so etwas bei uns wieder spüren, können wir es lenken und bewusst auf die provokation verzichten.
Wie heil ist unsere innere Welt?
oft geht es uns schlecht, weil wir kriegsangst haben. nicht selten geht es aber auch umgekehrt: unsere kriegsangst verstärkt sich in zeiten, in denen es uns sowieso schon schlecht geht. wichtig ist es, uns selbst zu verstehen: wir kennen nicht nur den lebenstrieb, sondern auch einen todestrieb – eine lust an tod und zerstörung. vielleicht nehmen wir diese lust am krieg bei anderen verstärkt wahr – und die sind sich ihres zerstörungstriebs vielleicht noch nicht einmal bewusst. Das macht uns fassungslos. Wenn wir auf uns selbst achten und unsere eigene lust am bösen bemerken, erscheint uns die der anderen manchmal nicht mehr ganz so stark. wir wissen: es gibt auch gefährliche lust, aber wenn wir sie bemerken, können wir sie besser steuern und davon abstand nehmen. das würden wir uns auch von denen wünschen, die etwas zu sagen haben.
„bete zu ihren engeln“, sagte mir einst eine freundin, als ich mich um mein kind sorgte und nichts tun konnte. wer ganz hilflos ist, fängt mitunter an zu beten und zu meditieren in der hoffnung, doch irgendwie etwas bewirken oder überstehen zu können.
Verbindungsgefühle beruhigen
verbindungen können ängste vermindern. wir machen uns über das unbekannte viele phantasien, doch wenn wir etwas näher kennenlernen, verlieren wir unsere angst. ich habe kürzlich just for fun das arabische alphabet gelernt. allein dadurch, dass ich manche worte auf nachrichtenbildern entziffern kann, fühle ich mich beruhigt. dasselbe erlebe ich mit russischen Buchstaben (kyrillische schrift).
auch hilft es mir, wenn die buddhistische nonne pema chödrön sagt, dass exorzismus im Buddhismus nicht praktiziert wird, sondern dass es die Idee von mitgefühl gibt, egal, wie „böse“ das böse objekt, subjekt oder formlose ist. ich denke zudem: egal, von welcher seite die menschen argumentieren – in der mitte steht oftmals die angst. der ausgangspunkt der diskussion kann also derselbe sein: ob man nun für oder gegen waffenlieferungen und wehrpflicht ist. wenn wir uns mehr mit unseren ängsten auseinandersetzen, können wir uns uns gegenseitig verständlich machen. dann sehen wir, dass die anderen mit den anderen argumenten vielleicht gar nicht dümmer oder weiter weg sind, sondern dass es selbst in großen gegensätzen grundgefühle gibt, die wir teilen. wir können immer noch zusammen musik machen.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht 2024
Aktualisiert am 23.10.2025
 
           
     
           
        