Wie wir mit Kriegsangst leben können

Eine junge Frau schaut verzweifelt zum Fenster raus. Hinter ihr in der Wohnung ein Fernseher, auf dem eine Explosion zu sehen ist. Vor ihr grüne Büsche. Ein Vögelchen und eine Katze schauen zu. Bildnr. 460 "Kriegsangst" von Dunja Voos

wie groß unsere kriegsangst ist, hängt von der aktuellen politischen lage ab, aber auch davon, wie alt wir sind, ob wir schon krieg und flucht erlebt haben oder was wir von unseren eltern und großeltern transgenerational über den krieg erfahren haben. in unserer phantasie können wir vieles aushalten, doch wenn wir die realität eines krieges erleben, sind wir uns sicher, dass wir das nie mehr wollen. manche kriegseindrücke von nahen verwandten waren so stark, dass wir gefühl haben, es hautnah und real miterlebt zu haben. hinzu kommt die vorstellung von einem unberechenbaren diktator, der uns angst macht, weil er nicht mehr „mensch“ zu sein scheint und nicht mehr mit sich reden lässt. wir denken an auswegslose Streits, in denen es niemandem mehr möglich ist, zu reden.

wut und angst sind oft zwei seiten einer medaille, die den namen „hilflosigkeit“ trägt. wir können etwas nicht mehr kontrollieren, wissen nicht, was im anderen vorgeht und was er vorhat. je nachdem, wie wir aufwuchsen, wissen wir, wie sich wahnsinnige, narzisstische mütter anfühlen. in unserer eigenen grenzenlosen wut können wir auch ein „ozeanisches gefühl“ haben, wie sigmund freud es nannte. wir fühlen uns grenzenlos. oder aber wir kennen vielleicht situationen, in denen es uns so schlecht geht, dass wir unsere eigene existenz oder auch die existenz der anderen für unerträglich halten. wir würden am liebsten alles zerstören. wenn wir nichts mehr zu verlieren haben, brauchen wir auch keine rücksicht mehr auf andere zu nehmen – so stark können wir in unserer wut verloren sein. und wir befürchten, dass machthaber vielleicht ebenso fühlen in ihrer blinden wut und alles zerstören. doch auch wut hat grenzen.

„Das Schicksal der Menschen hängt von wenigen Menschen ab. … Der Haufen entscheidet nie … Ich lass mich jetzt verglühen.“ Hans Urs von Balthasar, Youtube

kriegsangst ist oft auch ein ausdruck davon, wie wir die anderen um uns herum wahrnehmen und was wir mit ihnen erleben. hören wir politiker oder freunde, die von aufrüstung und kriegsbeteiligung sprechen, verstärkt sich unsere angst vielleicht. finden wir vorbilder und weise politiker, die mögliche wege zum frieden beschreiben, geht es uns wahrscheinlich wieder besser – auch, wenn die situation zunächst dieselbe geblieben ist.

„komm doch, komm doch!“, rufen wir im traum dem ungeheuer zu. doch wenn es uns dann plötzlich verfolgt, wünschten wir, wie hätten es nie gerufen. psychische prozesse wie diese kennen vielleicht die meisten menschen, die sich mit sich selbst bewusst beschäftigen. als kinder haben wir vielleicht so gespielt. wenn wir so etwas bei uns wieder spüren, können wir es lenken und bewusst auf die provokation verzichten.

Wie heil ist unsere innere Welt?

oft geht es uns schlecht, weil wir kriegsangst haben. nicht selten geht es aber auch umgekehrt: unsere kriegsangst wird größer in zeiten, in denen es uns sowieso schon schlecht geht. wichtig ist es auch, uns selbst zu verstehen: wir kennen nicht nur den lebenstrieb, sondern auch einen todestrieb – eine lust an der zerstörung. vielleicht nehmen wir diese lust am krieg bei anderen verstärkt wahr. Wenn wir auf uns selbst achten und unsere eigene lust bemerken, erscheint uns die der anderen manchmal nicht mehr so stark. wir wissen: es gibt auch gefährliche lust, aber wenn wir sie bemerken, können wir sie besser steuern und davon abstand nehmen.

„bete zu ihren engeln“, sagte mir einst eine freundin, als ich mich um einen lieben menschen sorgte und nichts tun konnte. wer ganz hilflos ist, fängt mitunter an zu beten und zu meditieren in der hoffnung, doch irgendwie etwas bewirken zu können.

Verbindungsgefühle beruhigen

verbindungen können ängste vermindern. wir machen uns über das unbekannte viele phantasien, doch wenn wir etwas näher kennenlernen, verlieren wir unsere angst. ich habe kürzlich just for fun das arabische alphabet gelernt. allein dadurch, dass ich manche worte auf nachrichtenbildern entziffern kann, fühle ich mich beruhigt. dasselbe erlebe ich mit russischen Buchstaben (kyrillische schrift) oder wenn ich dem kabarettisten wladimir kaminer zuhöre.

auch hilft es mir, wenn die buddhistische nonne pema chödrön sagt, dass exorzismus im Buddhismus nicht praktiziert wird, sondern dass es die Idee von mitgefühl gibt, egal, wie „böse“ das böse objekt, subjekt oder formlose ist. ich denke zudem: egal, von welcher seite die menschen argumentieren – in der mitte steht oftmals die angst. der ausgangspunkt der diskussion kann also derselbe sein: ob man nun für oder gegen waffenlieferungen ist. wenn wir uns mehr mit unseren ängsten auseinandersetzen, können wir uns uns gegenseitig verständlich machen. dann sehen wir, dass die anderen mit den anderen argumenten vielleicht gar nicht dümmer oder weiter weg sind, sondern dass es selbst in großen gegensätzen grundgefühle gibt, die wir teilen. wir können immer noch zusammen musik machen.

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