
Am Anfang war nur Widerstand. Wenn ich merkte, ich war neidisch, rachsüchtig und zerstörerisch, sagte ich mir: „Nein, das kann nicht sein!“ Wenn ich merkte, ich hatte jemandem geschadet, wies ich es wütend von mir. Ich war es nicht. Die Umstände waren’s. Ausreden, Schönreden, Schuldabweisung. Dahinter die Angst: Die Wahrheit schadet mir. Ich halte den Schmerz nicht aus.
Es schmeckt gut
Doch eines Tages war es anders. Ich nahm einen Schluck Wahrheit und merkte, wie sie sich innerlich ausbreitete. Ich war froh, sie erhascht zu haben, denn ich spürte, dass sie mir einen neuen Schritt ermöglichen würde. Am Anfang der Schrecken, doch dann erfüllte mich das wohlige Gefühl von Stimmigkeit. Es war, als hätte ich ein Etwas gefunden, das zu mir passt – zu etwas, das immer schon in mir war, jedoch abgeschirmt von der Abwehr. Ich fühlte mich auf einmal weniger allein. Ich ließ es zu und schaute, was passieren würde.
Einmal Wahrheit ohne alles bitte.
Von draußen nach drinnen
Ich fühlte mich auf einmal wie ein Gefäß für die Wahrheit. Sie ist ja sowieso in mir. Und dennoch kann man sie sich von außen noch einmal zuführen lassen wie einen Schluck Wasser, wie einen Bissen Brot. Und was mir plötzlich dabei half, war die tief gewordene Überzeugung, dass die Wahrheit, wenn ich sie erkenne und erfühle, etwas besser macht – nicht schlimmer, wie ich vorher immer dachte. Vielleicht war mein Gefäß zuvor auch zu klein für die Wahrheit.
Was mir jetzt hilft, ist die tiefe Überzeugung, dass die Wahrheit mich alleine dadurch trägt, dass ich sie anschaue. Die Wahrheit kann sich dadurch sogar verändern. Diese tiefe Überzeugung nimmt mir die Angst. Ich muss nichts machen mit der neuen Erkenntnis.
„Was Ihnen an Ihrem Inneren hässlich erscheint, wird allein schon dadurch, dass Sie es bemerken, geläutert.“
Fjodor Dostojewski: Die Brüder Karamasow. Anaconda 2010, S. 91
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 8.8.2018
Aktualisiert am 18.10.2019
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