„Soll ich den anderen jetzt anlächeln, oder nicht? Soll ich nun auf die Wippe gehen, oder nicht?“ Wenn ein Kind überlegt, ob es auf etwas Neues, Abenteuerliches zusteuern soll oder nicht, dann schaut es nach der Mutter. Es sucht nach ihrer Rückversicherung (Soziale Referenzierung, englisch: Social Referencing). Mit etwa 8-9 Monaten beginnt das Kind, sich an den Gefühlen und Gesichtsausdrücken zu orientieren. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Was sagt Mama dazu? Social Referencing.
Kinder
Säuglingsforschung – ein kleiner Überblick

Ein Baby ist von Anfang an präsent. Bereits im Mutterleib bekommt es vieles von dem mit, was die Mutter bewegt. Die meisten Schwangeren hören deshalb häufig den Satz: „Entspann‘ Dich – Dein Stress überträgt sich doch auf’s Kind!“ Dadurch geraten die Frauen manchmal in einen regelrechten „Entspannungsstress“. Jede Aufregung soll vermieden werden, um das Kind zu schützen. Ein verständlicher Wunsch. Aber Kummer und Nöte lassen sich gerade in der Schwangerschaft nicht immer vermeiden. Und wenn die Babys auf der Welt sind, kann man ihnen auch nicht immer gerecht werden. Doch es reicht oft schon, eine Menge zu wissen, die Kleinen zu respektieren und zu verstehen. Bekannte Säuglingsforscher haben schon lange herausgefunden, wie vollkommen die kleinen Erdenbürger sind. (Text und Bilder: © Dunja Voos)
Gefühle von Anfang an
Der amerikanische Kinderarzt und Psychoanalytiker Daniel N. Stern (1934-2012) geht davon aus, dass der Säugling in den ersten drei Monaten in einer Welt der Gefühle lebt. Er nimmt Formen, Zeit und Töne wahr, woraus schließlich ein Gefühlszustand entsteht. Sigmund Freud glaubte, dass der Säugling lediglich die Gefühle Libido und Aggression hat. Der Begründer der Affektforschung, Silvan Solomon Tomkins (1911-1991), beschrieb 1962 jedoch insgesamt acht angeborene Affekte: Wut, Freude, Überraschung, Ekel, Interesse, Distress (Qual, Traurigkeit), Furcht und Scham.
Das Neugeborene ahmt Gesichtsausdrücke nach
Der amerikanische Psychologe Andrew Meltzoff hat gezeigt, dass das Neugeborene schon wenige Tage nach der Geburt Gesichtsausdrücke wie Lächeln oder das Hochziehen einer Augenbraue (als Zeichen der Überraschung) nachahmt. Der Entwicklungspsychologe Robert N. Emde hat 1984 nachgewiesen, dass die Säuglinge die Affekte der Mutter so sehr imitieren, dass die Mutter dem Kind ihren eigenen Affekt sozusagen „überstülpen“ kann. Mütter, die an starken Depressionen leiden, haben manchmal Babies, die selbst niedergeschlagen wirken und bei anderen Niedergeschlagenheit auslösen.
Vatergefühle und Muttergefühle
Der Psychologe Ross D. Parke hat bereits 1981 durch die Vaterforschung erwiesen, dass der Vater den ersten Kontakt zum Kind genauso intensiv erlebt wie die Mutter und dass er dasselbe vortastende Verhalten zeigt. Mit etwa acht Monaten entwickelt der Säugling gleichermaßen zum Vater wie zur Mutter eine verlässliche emotionale Bindung.
Eltern verstehen die Signale ihres Kindes
Die Kindertherapeutin Barbara Diepold (1942-2000) beschreibt, dass Eltern intensiv mit den Händchen des Babys spielen und häufig seine Mundgegend berühren. Darüber bekommen sie Informationen über den Spannungszustand des Kindes. Ist der Säugling müde, lässt sich der Mund leicht öffnen, ist er hungrig, fängt er an zu saugen, ist er satt, schließt er fest den Mund.
Blickkontakt
Der Säugling nimmt direkt nach der Geburt Blickkontakt zur Mutter auf. Die Mutter nimmt daraufhin den „Dialogabstand“ von 20 cm ein. Dies entspricht der Sehfähigkeit des Säuglings und auch dem Gesichtsabstand zwischen Mutter und Kind beim Stillen. Die Verhaltenspsychobiologen Hanus und Mechthild Papousek filmten die Augen von Neugeborenen, während sie in Blickkontakt mit ihren Müttern traten. Sobald das Bild der Mutter sich zentral über der kindlichen Pupille spiegelte, förderte die Mutter den Blickkontakt, indem sie ihre Augenbrauen hob und den Mund öffnete.
Einfache Kommunikation
Die Eltern benutzen eine einfache, übertriebene Mimik. Es gibt nur ein paar Grundmuster, die sie immer wiederholen. Dazu benutzen sie eine kontrastreiche „Babysprache“. Barabara Diepold betont dabei die Wichtigkeit der Sprachmelodie: Ein ansteigendes „Ja“ animiert, ein helles „Ja“ mit abfallender Stimme drückt Lob aus und ein tiefes „Ja“ mit fallender Melodik tröstet den Säugling.
Der Säugling kann etwas bewirken
Das Befinden des Säuglings bestimmt die Art, mit der sich die Eltern ihm zuwenden. So merkt er von Anfang an, dass sein Befinden zu verlässlichen Antworten führt. Diese immer wiederkehrenden Abläufe sind es unter anderem, die beim Säugling das Kern-Selbst prägen, so die Psychoanalytikerin Lotte Köhler. Aus diesen Szenen bilden sich später die inneren Vorstellungen (Repräsentanzen), die das Kind von sich selbst, der Mutter und dem Vater hat. Das ist jedoch erst ab dem 15. Lebensmonat möglich, denn das Kind kann erst symbolisch denken, wenn das Nervensystem ausgereifter ist.
Der Säugling freut sich über seine Macht
Säuglinge freuen sich, wenn sie etwas bewirken können. Dazu ein Experiment des Ehepaares Papousek von 1975: Sie zeigten vier Monate alten Säuglingen blinkende Lichter. Bald langweilten sich die Babys und wendeten sich ab. Dann ließen die Forscher die Lichter immer dann angehen, wenn die Kinder ihren Kopf auf eine bestimmte Seite drehten. Sobald die Säuglinge entdeckt hatten, dass sie das Angehen der Lichter selbst bewirkten, blieben die Lichter interessant.

Wohldosierter Frust ist förderlich
Auch den besten Eltern ist es nicht immer möglich, adäquat auf den Säugling einzugehen. Dadurch lernt das Kind jedoch, sich an gewisse Situationen anzupassen und flexibel zu reagieren. Lotte Köhler betont allerdings, dass solche Frustrationen nur dann die Entwicklung fördern, wenn die Eltern in der überwiegenden Zeit die Bedürfnisse des Kindes erfüllen und sich seinem Erleben anpassen.
Niedriger Spannungszustand fördert das Lernen
Säuglinge können von der ruhigen Wachheit bis zur großen Anspannung verschiedene Spannungszustände annehmen. Andauernde Hochspannung führt dazu, dass das Kind das Gefühl von Sicherheit verliert. In diesem Zustand kann es weder reifen noch lernen. Nur im Zustand geringer Spannung sucht es Reize und nimmt Informationen auf.
Ursache von Lernblockaden
Die Diskussionen um Bildung und Lernen schließen so oft aus, dass viele Kinder aufgrund hoher Anspannung gar nicht aufnahmefähig sind. Kinder, deren Eltern zu Hause Streit haben, die missbraucht werden oder deren Väter arbeitslos sind und trinken, können sich auch auf den besten Unterricht nicht konzentrieren. Erst, wenn sie in der Schule die Möglichkeit haben, bei den Lehrern und in bestimmten Schulstunden wenigstens etwas Entlastung zu erfahren, sind sie fähiger, zu lernen.
Buchempfehlungen und Links:
Karl Heinz Brisch:
Schwangerschaft und Geburt
Reihe Bindungspsychotherapie
Klett-Cotta 2013
21,95 €
Michael Klöpper:
Reifung und Konflikt
Säuglingsforschung, Bindungstheorie und Mentalisierungskonzept in der tiefenpsychologischen Psychotherapie
Klett-Cotta, 2006
29,95 €
Barbara Diepold:
Das dumme Vierteljahr
Neuere Ergebnisse aus der Säuglingsforschung (1992).
Ein unveröffentlichter Vortrag.
Beatrice Beebe, Frank Lachmann:
Säuglingsforschung und die Psychotherapie Erwachsener
Klett-Cotta, 2004
Louis W. Sander:
Die Entwicklung des Säuglings, das Werden der Person und die Entstehung des Bewusstseins
Klett-Cotta, 2009
19,95 €
Louis Wilson Sander (1918-2012)
Das Gespenst im Kinderzimmer
Über die Seelenheilkunde bei Babys
Der SPIEGEL 1994
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 14.8.2006
Aktualisiert am: 5.5.2013
Shared Attention: Mit dem Kind ein Interesse teilen
Mutter (Vater, Oma, Opa …) und Kind können einander betrachten, miteinander kuscheln, spielen und reden. Oder aber sie können beisammen sein, während jeder seiner Beschäftigung nachgeht: Die Mutter kocht, das Kind spielt. Eine Idylle – und eine wichtige Erfahrung für beide. Dann gibt es noch die „Shared Attention“, die „geteilte Aufmerksamkeit“, bei der Mutter und Kind sich gemeinsam um etwas kümmern, zusammen etwas schaffen oder gemeinsam etwas betrachten. Beide schauen auf dasselbe „Dritte“ mit demselben Interesse und derselben Freude. Auch diese Erfahrung ist ganz wichtig. Kinder, die diese Erfahrung oft genug und ausreichend lang mit der Mutter (dem Vater etc.) gemacht haben, können sich leicht mit anderen auf etwas Gemeinsames einlassen.
Buchtipp:
Dunja Voos:
Liebst Du mich, auch wenn ich wütend bin?
Was gefühlsstarke Kinder wirklich wollen
Mehr Infos

Urkreuz und Urknäuel – so lernen Kinder Malen
Etwa im Alter von zwei Jahren beginnen Kinder zur Freude ihrer Eltern mit ihrer „Malerkarriere“. Der Pädagoge Wolfgang Grözinger beschreibt, wie Kleinkinder das Malen lernen. Diese Fähigkeit entwickelt sich über Jahre hinweg, doch die Entwicklung sieht bei den meisten Kindern gleich aus. Das erste Gebilde aus Kreuz- und Querstrichen nennen Kunstpädagogen das „Urkreuz“. Es symbolisiert das „Stehen“.
Gleichzeitig lieben es die Kleinen, Spiralen zu malen. Grözinger vermutet dahinter ein schwebendes Raumgefühl der Kleinen. Diese Gebilde nennt er „Urknäuel“. Die ersten Zickzacklinien („Ur-Zickzackstrecke“) dann sind wie ein „Schreiben“ oder ein „Gehen“ auf dem Papier.
Das Selbst nimmt Kontakt zur Umwelt auf
Kinder malen einen geschlossenen Kreis in der Zeit, in der sie zum ersten Mal „Ich“ sagen. Der Kreis symbolisiert das „Selbst“. Später malen sie aus dem Kreis Linien heraus. Grözinger sagt, die Kinder nehmen Kontakt zur Außenwelt auf, die Linien sind die „Fühler“. Langsam entstehen aus diesen Linien Beine, Arme, Ohren oder Haare. Kinder im Alter von 3 bis 5 Jahren malen diese sogenannten „Kopffüßler“. Der „Kopf“ wird schließlich ausgefüllt mit Flächen, die Augen, Nase und Mund bedeuten.
Links:
Knetfeders Kleinkindpädagogik
fasst Zeichnungen, psychische und körperliche Entwicklung in einer Tabelle zusammen.
Historische Aspekte zum Phänomen Kinderzeichnung
Zusammenfassung nach H.G. Richter, Die Kinderzeichnung, 1987
www.sem-kunst.muc.kobis.de/Seminarausbildung/kinderzeichnung.htm
Wolfgang Grözinger:
Kinder kritzeln, zeichnen, malen. Die Frühformen kindlichen Gestaltens
Link zu amazon
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 10. Januar 2007
Aktualisiert am: 22. März 2013
Legasthenie: psychoanalytische Literaturtipps
Ähnlich wie die Kinder heute scheinbar immer häufiger unter Sprachentwicklungsstörungen leiden, so ist auch die „Legasthenie“ für viele Eltern und Kinder ein Problem. Während einige Experten die „Lese-Rechtschreibschwäche“ mit der „Legasthenie“ gleichsetzen, sagen andere, dass die „Legasthenie“ eine schwere Form der „Lese-Rechtschreibschwäche“ (LRS) sei. Nach der International Classification of Diseases (ICD-10) gehört die Legasthenie zu den „Umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten“ (F81). Es gibt viele Theorien und Therapieangebote. Einen sehr guten Überblick liefert die Doktorarbeit von Nicole Robering (Fern-Uni Hagen, 2005): „Wirklichkeitskonstruktionen in LRS-Förderansätzen“. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Legasthenie: psychoanalytische Literaturtipps
„Du musst mal lernen, loszulassen.“
Ohne das Loslassen geht es nicht weiter. Doch heute hören und geben wir diesen Rat oft zu schnell. Da ist die Frau, die vor einem Jahr ihren Mann verloren hat. Da ist die junge Mutter, die ihr sechs Monate altes Kind nicht bei der Tagesmutter lassen will. Und dann ist da derjenige, der es „gut“ mit uns meint und sagt: „Du musst mal lernen, loszulassen.“ [Weiterlesen…] Infos zum Plugin „Du musst mal lernen, loszulassen.“
Peripartale Depression: Auswirkungen auf die Kinder
Die „peripartale Depression“, also die Depression rund um die Geburt, ist Thema des Ärzteblattes (Hübner-Liebermann, Bettina et al.: „Peripartale Depressionen erkennen und behandeln“, Dtsch Arztebl Int 2012; 109(24): 419-424; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0419). Wenn Schwangere und junge Mütter depressiv sind, hat das verschiedene Auswirkungen auf die Kinder. Im Ärzteblatt sind einige Folgen aufgelistet. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Peripartale Depression: Auswirkungen auf die Kinder
Übergangsobjekt (englisch: Transitional Object)
Kleine Kinder können enorm an ihrem Bärchen, Schnüffeltuch oder Schnuller hängen. Diese Gegenstände, die fast immer weich sind, werden als „Übergangsobjekt“ bezeichnet. Geprägt wurde der Begriff von dem Kinderanalytiker Donald Woods Winnicott (1896-1971). Das Übergangsobjekt stellt eine Brücke zwischen dem Kind und der Außenwelt dar. Es erinnert das Kind an die Mutter – ihr Geruch, ihre Weichheit ist da, auch wenn sie selbst als Person gerade nicht greifbar ist. So fällt es dem Kind leichter, die Trennung von der Mutter zu ertragen. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Übergangsobjekt (englisch: Transitional Object)
Depressionen bei Kindern und postpartale Depression der Mutter hängen zusammen
Nicht nur Erwachsene leiden unter Depressionen – auch bei Kindern und Jugendlichen kommen sie vor. Die Ursachen sind vielfältig. Einige Studien weisen darauf hin, dass schon das frühe Zusammenspiel zwischen Mutter und Kind Einfluss darauf haben kann, ob Kinder später depressiv werden oder nicht. Zu diesen Studien gehört die Untersuchung von Lynne Murray und Kollegen. [Weiterlesen…] Infos zum Plugin Depressionen bei Kindern und postpartale Depression der Mutter hängen zusammen
Der Mund ist unsere „Urhöhle“
Der Säuglingsforscher René Spitz (1887-1974) bzeichnete die Mundhöhle als „Urhöhle“, weil er davon ausging, dass der Säugling die frühesten und wichtigsten Erfahrungen mit dem Mund macht. Erst an zweiter Stelle standen für ihn die Sinneserfahrungen, die mit den Augen gemacht werden. (René Spitz war ungarischer Abstammung und ließ sich bei Sandor Ferenczi zum Psychoanalytiker ausbilden. Später machte er eine Lehranalyse bei Sigmund Freud. Quelle: Wikipedia)