Gian Domenico Borasio ist leidenschaftlicher Palliativmediziner, das wird in seinem Buch deutlich. „Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen“, so der Titel seines Buches, das 2012 im Beck-Verlag erschienen ist. Es hält sicher viele Überraschungen bereit: Wussten Sie, dass Morphin das wirksamste Medikament gegen Atemnot ist (S. 72)? Oder dass oft nicht der Schmerz, sondern Atemnot und Übelkeit die bedeutsamen Beschwerden am Lebensende sind? Bevor ich begonnen habe, das Buch zu lesen, habe ich es ein paar Mal zur Seite gelegt – mit so einem „unschönen“ Thema wollte ich mich in meiner Freizeit nicht beschäftigen. Umso wohltuender war es, zu sehen, dass Gian Borasio zu Beginn des Buches auf genau diese Berührungsängste des Lesers eingeht.
Bald überwiegt die Neugier und das Buch liest sich leicht und schnell. Einige Ängste verschwinden während des Lesens. Was gut tut, ist Gian Borasios bodenständige Art. Er schreibt tatsächlich nur darüber, was wir über den Sterbevorgang definitiv wissen.
Gian Borasio spricht von der „Wiederentdeckung des natürlichen Todes und der urärztlichen Aufgabe der Sterbebegleitung“. So, wie es für die Geburt ein von der Natur vorgesehenes Programm gibt, das in aufeinanderfolgenden Phasen abläuft, so kann auch das Sterben in natürlichen Phasen verlaufen. Zu diesem natürlichen Verlauf gehört zum Beispiel, dass alte Menschen häufig irgendwann nichts mehr trinken oder essen möchten. Der Körper findet von sich aus einen natürlichen Weg, um zu sterben – und wenn man die Menschen mehr lassen würde, könnte man ihnen damit wohl oft zu einem angenehmeren Sterben verhelfen. Der Tod ist dem Leben nah und oft ermöglicht er das Leben überhaupt. Beispielsweise kann sich ein Embryo nur gesund entwickeln, wenn während der unglaublichen Zellvermehrung auch ständig Zellen wieder absterben. Hier haben wir ein gut funktionierendes System, so, wie überhaupt Leben nur durch funktionierende Systeme möglich ist.
Gian Borasio erklärt, dass es auf das Zusammenspiel der lebenswichtigen Organe ankommt. Wenn eines der Hauptorgane – Herz, Leber, Niere, Lunge oder Gehirn – ausfällt, ist Leben nicht mehr möglich. Einzelne Organe, oder auch der Kreislauf, können durch Maschinen zwar eine Zeit lang erhalten bleiben, doch das menschliche Leben ist ausgelöscht, sobald das eigenständige, koordinierte Zusammenspiel dieser Organe nicht mehr funktioniert. Durch dieses Bild, das Gian Borasio ausführlich darstellt, könnte mancher Leser vielleicht sogar die Angst vor einer Organspende verlieren.
Das Buch behandelt auch einige gesundheitspolitische Themen. Beispielsweise erklärt Gian Borasio die Unterschiede zwischen einer Palliativstation und einem Hospiz sowie die Probleme, die sich aus der Trennung dieser beiden Bereiche ergeben. Er erklärt, was es mit den Patientenverfügungen auf sich hat und macht den Leser mit der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) bekannt. Ich selbst empfand diese Kapitel als eher „langweilig“ oder „lästig“, wo Gian Borasio doch so viel Spannendes zum Thema Sterben selbst zu sagen hat. Diese Informationen mögen für viele Leser hilreich sein, doch sie nahmen für meinen Geschmack zu viel Raum ein. Doch insgesamt ein wirklich gelungenes Buch, das sicher viele falsche Vorstellungen über das Sterben korrigiert.
Gian Domenico Borasio liefert in seinem Buch „Über das Sterben“ bodenständige Informationen zum Thema Sterben in Deutschland. Dabei erfährt der Leser viel Überraschendes: Beispielsweise ist es ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) qualvoll ersticken. Auch sind oft nicht die Schmerzen am Ende des Lebens das vordergründige Problem, sondern Beschwerden wie Atemnot, Angst und Übelkeit.
Borasio, Gian Domenico
Über das Sterben
Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen
7. Auflage 2012. 207 Seiten, 17,95 Euro
C.H. BECK, München
ISBN 978-3-406-61708-9
Arbeitsgemeinschaft spezialisierte ambulante Palliativversorgung (AG SAPV)
www.ag-sapv.de
Katri Elina Clemens und Eberhard Klaschik:
Wie läßt sich Atemnot bei Tumorpatienten effizient lindern?
Morphin ist das Opioid, das am häufigsten zur Reduktion einer Atemnot verwendet wird
Ärzte-Zeitung, 2.5.2006
Die „Collected Papers on Schizophrenia and Related Subjects“ des Psychoanalytikers Harold F. Searles (1918-2015) wurden erstmals im Jahr 1965 veröffentlicht. 2008 legte sie der Psychosozial-Verlag neu auf: Das Buch „Der psychoanalytische Beitrag zur Schizophrenieforschung“ ist 275 Seiten stark, eng bedruckt und herrlich gemütlich. Es wurde mit großer Sorgfalt aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Die Sprache stammt ungewohnterweise aus der Zeit vor dem Internet. Man kann schmunzeln, wenn man Formulierungen wie diese liest: „so aber dünkt es mir völlig natürlich …“ (S. 84). Erholsamerweise gibt es keine Info-, Merkkästen oder sonstige Marginalien. In aller Seelenruhe und höchst präzise beschreibt Searles seine Arbeit mit schizophrenen Patienten. Gänzlich unaufgeregt, sehr nüchtern und logisch erklärt er, wie das „Verrücktsein“ entstehen und wie die psychoanalytische Behandlung helfen kann. (Text: © Dunja Voos, Bild: © Psychosozial-Verlag) Weiterlesen
Der Frankfurter Psychoanalytiker Hans-Geert Metzger (DPV) hat Einiges über die Psychologie der Väter und über die Vater-Kind-Beziehung geschrieben. Seine Bücher und Texte sind wirklich empfehlenswert. Hier einige Literaturtipps:
Hans-Geert Metzger:
Die Angst der Väter vor der frühen Kindheit
Psychoanalyse-aktuell, Juli 2006
Hans-Geert Metzger:
Die Idealisierung des Vaters
Psychologie heute 03/2010: Psychoanalyse in unserer Zeit: S. 40-45
(Artikel freischalten auf „Psychologie heute“ kostet 1,40)
Hans-Geert Metzger (Hrsg):
Psychoanalyse des Vaters
Klinische Erfahrungen mit realen, symbolischen und phantasierten Vätern
Verlag Brandes und Apsel
(Link zu Amazon)
Dammasch, Frank/ Metzger, Hans-Geert/ Teising, Martin (Hrsg.):
Männliche Identität
Psychoanalytische Erkundungen
Brandes und Apsel, 2009