
„Tun Sie sich doch mal was Gutes! Fangen Sie mit Meditation oder Yoga an“, sagt der Hausarzt. Eifrig bereiten wir uns auf unsere neue Gewohnheit vor. Wollsocken, Decke, Kerzen und Yogamatte liegen parat. Doch dann geht es morgens ans Aufstehen und wir denken: „Och neee … Heute nicht.“ Wir stehen vor unserem Sitzkissen, vor unserer Matte und machen uns einfach nicht daran, an diese „Wellness-Vorschläge“ vom Arzt.
Das Dilemma: Obwohl uns Meditation und Yoga als „Wohlfühlmaßnahmen“ vorgeschlagen werden, merken wir vielleicht bald: „Also angenehm ist das nicht.“ Der Yogalehrer hat uns Übungen mit nach Hause gegeben und dann stellen wir vielleicht fest, dass uns diese Übungen irgendwie unangenehm sind. Wir wissen nicht, warum – sie sind nicht zu anstrengend, sie tun nicht weh, sie brauchen nicht allzu viel Kraft. Und dennoch merken wir möglicherweise eine Abneigung.
Zu diesem inneren Sträuben kann es möglicherweise kommen, wenn wir als Kinder oder Babys furchtbare Körpererfahrungen gemacht haben. Der Körper „merkt“ sich die Erfahrungen. Durch die Yogaübungen können wir diesen frühen Erfahrungen wieder näherkommen.
Bei der Meditation ist es ähnlich (wobei Yoga ja „Meditation in Bewegung“ ist): Wir können nicht abschalten, es geht uns alles Mögliche durch den Kopf. Und was bei Yoga und Meditation langsam zu merken ist: Die Stille ist uns unangenehm. Diese Ruhe. Die Stille lässt uns vielleicht merken, wie einsam wir uns fühlen, wie allein wir sind. Sie lässt uns vielleicht plötzlich traurig werden, weil wir all unserer Schmerzen gewahr werden.
Allein
Die Stille erinnert uns daran, dass wir vielleicht eine zerbrochene Familie haben und uns nach dem Yoga nicht mit anderen zusammen an den gedeckten Frühstückstisch setzen können. Die Stille lässt den Kontostand vor unserem geistigen Auge erscheinen, unsere Beziehungsschwierigkeiten, unser Übergewicht, unsere Nackenschmerzen, unseren Neid, unsere Verlustängste und vieles mehr.
Das ist es, was uns wirklich schwer fällt. Die Stille macht, dass wir unseren Körper wieder genauer wahrnehmen. Wir spüren vielleicht, dass wir gerade kaum durch die Nase atmen können, dass die Neurodermitis juckt, dass das Kreuzbein schmerzt oder unsere linke Brust. Dann bekommen wir Angst vor Krebs und haben irgendwann das Gefühl: „Ich lass‘ es sein. Ob Yoga oder ’nur‘ Meditation – das bringt alles nix bei mir.“
Es ist schade, wenn wir zu früh aufgeben, denn dann verpassen wir etwas. Es ist, als würden wir im See schwimmen gehen wollen, doch als machten wir einen Rückzieher, weil das Wasser, das uns bis zu den Knien reicht, viel zu kalt ist.
Wenn wir uns aber einmal auf all den Schlamassel einlassen, der uns in der Bewegung oder beim Sitzen in der Ruhe begegnet, dann können wir nach einer Weile noch etwas anderes feststellen: Wir können eine Art Zufriedenheit finden, weil wir nicht weglaufen und weil wir uns Momente erlauben, in denen alles erlaubt ist – jeder Zweifel, jeder Hass, jeder Fluchtgedanke, jede Eifersucht, jede Übelkeit, jeder Schmerz ist erlaubt. Das haben wir vielleicht sonst nirgendwo.
Bleiben wir bei uns, wenn es schwierig werden will …
Wenn wir es schaffen, da zu bleiben, bei uns zu bleiben und mal zu sehen, was mit diesen ganzen unangenehmen Gefühlen und Gedanken wird, können wir manchmal feststellen, dass sie nachlassen. Wir können manchmal feststellen, dass wir in eine bessere Stimmung kommen, vielleicht sogar einmal spontan lächeln. Vielleicht fällt uns etwas Wichtiges ein oder aber auch nicht.
Vielleicht spüren wir die ganze Zeit dieses Unangenehme, doch indem wir es spüren, spüren wir uns selbst. Das kann Angst machen und manchmal ist es auch erst nach einer Psychotherapie oder Psychoanalyse möglich. Doch wenn wir wissen, dass der Weg durch das Unangenehme das ist, was uns helfen kann, uns wieder besser und zufriedener zu fühlen, dann können wir uns morgens leichter überwinden, anzufangen.