
Zuerst ist man noch ganz gelassen – glaubt daran, das Baby beruhigen zu können. Doch wenn es sich wieder und wieder nicht beruhigen lässt, kommen die Selbstzweifel. Es beginnt die Suche nach den Ursachen und Schuldgefühle entstehen. Die Erschöpfung wächst. Manchmal hat man nicht mal mehr die Kraft, Hilfe zu suchen. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Definition Schreibaby: Schreit ein Baby mindestens drei Wochen lang an mindestens drei Tagen der Woche jeweils für mindestens drei Stunden, dann ist es ein Schreibaby. (Dreierregel von Morris Wessel)
Die Anspannung ist unerträglich
Das Baby windet sich und streckt sich und auch die eigene Anspannung wird unereträglich. Schon, wenn das Baby etwas wimmert, gerät man in Panik, weil man weiß: Es wird sich einschreien und ich kann nichts tun.
Daher handelt man sofort, obwohl auch das meistens nicht hilft. Man merkt gar nicht mehr, wie sehr man das Baby in den Armen schaukelt. Jetzt ist es für das Baby schwierig zu signalisieren: „Bitte weniger!“ Das starke Schaukeln wirkt wie ein aggressives gegenseitiges Aufschaukeln.
Mutter und Vater werden wütend, weil sich das Baby nicht beruhigen lässt und das Baby ist verzweifelt, weil es nicht verstanden wird. Manchmal glaubt die Mutter, sie sei entspannt. Doch dann stellt sie fest, dass ihr Atem ins Stocken geraten ist.
Die Konzentration auf den eigenen Atem will einerseits geübt sein – es kann sehr hilfreich sein, schon in der Schwangerschaft mit Atemmeditation, Pranayama bzw. Yoga anzufangen. Andererseits hat jeder von uns die Fähigkeit, sich hier und jetzt auf die eigene Atmung zu konzentrieren. Dabei reicht es schon zu schauen: Wie fühlt sich die Atemluft an, die da in meine Nase strömt?
Das Sprechen über belastende Ereignisse bringt Babys zum Schreien
Babys sind höchst empfindsam. Wenn man sie genau beobachtet, dann fangen sie sehr oft genau in dem Moment an zu schreien, in dem man über belastende Ereignisse spricht. Oft hat die Mutter belastende Ereignisse erlebt, die sie nicht verdauen kann. Vielleicht bestehen große Spannungen mit dem Vater des Kindes oder vielleicht erhielt die Mutter selbst als Baby medizinische Behandlungen, z.B. die Vojta-Therapie, sodass das Baby sie unbewusst an eigene qualvolle Zeiten erinnert. All dies ist im Körper der Mutter verankert. Schon allein das Nachdenken darüber und das Verstehen der eigenen Leiden kann dabei helfen, Spannung loszulassen und somit das eigene Kind mit mehr Verstehen zu halten.
Elimination Communication
Das exzessive Schreien bei Babys ist nicht selten verbunden mit den „Dreimonatskoliken“. Hier könnte die Elimination Communication ein Lösungsansatz sein. Die Theorie: Babys wollen sich nicht selbst beschmutzen, das heißt, sie wollen nicht in die Windeln machen. Babys zeigen früh an, wenn sie sich entleeren wollen und zwar durch Unruhe und Kicken der Beine. Wenn die Mutter aufmerksam mit dem Baby kommuniziert, merkt sie, wann es sich entleeren möchte und kann es abhalten.
Das Prinzip ist eigentlich immer dasselbe: Die Mutter braucht einen guten Kontakt zu sich selbst, damit sie sich besser affektiv mit dem Baby abstimmen kann (siehe Affektabstimmung). Damit ihr das gelingt, braucht sie selbst Rückenstärkung. Ist niemand da, der ihr diese geben könnte, ist die Zeit mit einem Schreibaby sehr schwer zu überstehen – aber es ist zu schaffen. Empfehlenswert sind hier die Bücher des Schreibabyforschers Thomas Harms.
Links:
Elternnotruf.ch (rund um die Uhr): 0041 (0)44 261 8866
Wochenbettdepression-Hotline: 01577/47 42 654
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Links:
- www.trostreich.de
- Erste Emotionelle Hilfe Deutschland
- www.familienhebamme.de
- Deutsche Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der frühen Kindheit, GAIMH
- Zentrum für primäre Prävention und Körperpsychotherapie Bremen (ZePP)
- www.muetterhilfe.ch
Literatur:
Stella Acquarone:
What shall i do to stop him crying? Psychoanalytic thinking about the treatment of excessively crying infants and their mothers/parents.
Journal of Child Psychotherapy, Volume 18, 1992 – Issue 1, Published online 24.9.2007
https://doi.org/10.1080/00754179208259362
https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00754179208259362?journalCode=rjcp20
Brigitta vom Lehn:
Schreibabys sind typisch deutsch.
Welt-online, 6.5.2007
Mauri Fries:
Unser Baby schreit Tag und Nacht
Ernst Reinhardt Verlag
Studien zum exzessiven Schreien und zum weiteren Verlauf:
Mirja Helen Hemmi (Universität Basel, Schweiz), Dieter Wolke, Silvia Schneider (2011):
Associations between problems with crying, sleeping and/or feeding in infancy and long-term behavioural outcomes in childhood: a meta-analysis.
Archives of Disease in Childhood 2011; 96: 622-629, doi:10.1136/adc.2010.191312 http://adc.bmj.com/content/96/7/622.short
(Frühe Regulationsstörungen und spätere Verhaltensauffälligkeiten hängen zusammen = Schlussfolgerung der Studie)
Wurmser, Harald (2009):
Schrei-, Schlaf- und Futterstörung.
Prävalenz, Persistenz, Prädiktoren und Langzeitprognose.
Monatsschrift Kinderheilkunde, 157, 574-579
http://www.springerlink.com/content/314436304w147g15/
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht im Jahr 2006.
Aktualisiert am 11.10.2019