Viele „Borderliner“ haben Angst vor anderen Menschen mit schweren psychischen Störungen

Das Gefühl der „Brüchigkeit“ ist vielen Menschen mit einer Borderline-Störung bekannt. Oft war die frühe Mutter-Kind-Kommunikation bereits gestört (siehe Beatrice Beebe: Decoding the nonverbal language of babies, Youtube, 2019). Viele hatten wenig einfühlsame Eltern. In vielen Familien ging es laut zu, es wurde geschrien, es herrschte Chaos und Hysterie, die Sprache war wenig differenziert, es gab vielleicht Alkoholismus, sexuelle Übergriffe sowie psychische und körperliche Gewalt. Die Eltern konnten vielleicht kaum über sich selbst und ihr Kind nachdenken – sie waren hoch gestresst. (Text & Bild: © Dunja Voos)

Ein hoher Bildungsgrad kann psychische Schwäche teilweise ausgleichen, doch die bleibt vielen verwehrt. In einer extrem unsicheren Umgebung aufzuwachsen, ist für ein Kind meistens eine furchtbare Erfahrung. Es fühlt sich psychisch stark verunsichert und lebt in chronischer Angst. Als Erwachsene leiden die Betroffenen oft unter heftigen Angststörungen und dem Gefühl, sich auf niemanden verlassen zu können.

Beruhigend

Instinktiv halten sich viele Betroffene an gebildeten, psychisch reifen Menschen fest. Die eigene fehlende innere Struktur kann durch die Struktur eines Gesünderen zumindest etwas „aufgefüllt“ werden. Wenn wir mit Menschen zusammen sind, die ruhig, gebildet und besonnen sind und die versuchen, uns zu verstehen, hat dies oft eine beruhigende Wirkung auf uns.

Ansteckend

Wenn Menschen mit einer Borderline-Störung in die Psychiatrie kommen, kann das für sie eine psychische Katastrophe sein: Die „niedrige Struktur“ der anderen Patienten, die psychisch äußerst schwach sind, reißt die Betroffenen quasi mit herunter. Oftmals ist die Angst vor dem Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel eng verbunden mit der Angst, vielen psychisch schwachen Menschen zu begegnen.

Wenn wir uns brüchig fühlen und mit psychisch sehr schwachen Menschen zusammen sind, können wir das Gefühl haben, sie stecken uns mit ihrer Brüchigkeit an und verschlimmern unser bodenloses Gefühl.

Innere Sicherheit erlangen

Kaum etwas ist für viele Borderline-Patienten wichtiger, als mit „guten Menschen“ zusammen zu sein. Und tatsächlich hat dies oft eine nachhaltig positive Wirkung, denn stärkere Menschen können wir als „gute innere Objekte“ aufnehmen. Dieser Vorgang ähnelt dem „Lernen am Modell“: Wenn wir an Vorbilder denken und uns so verhalten wie sie, dann ist es für uns fast, als wären wir ein bisschen (wie) diese Vorbilder. Eine Psychoanalyse kann hier besonders hilfreich sein, denn der Therapeut selbst wird zu dem Menschen, der zunächst außen Halt bietet und dann als „haltgebendes inneres Objekt“ in die Psyche mit aufgenommen wird. Doch auch aus eigener Kraft erlangen viele mehr inneren Halt, indem sie interessiert bleiben an sich selbst und sich gute Wege und Umgebungen suchen.

Ausschau halten nach Bildungsmöglichkeiten und nach Menschen, die uns gut tun und die uns die eigene Entwicklung ermöglichen, ist mit das Wichtigste auf unserem Weg zu mehr innerer Sicherheit und Ruhe.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 10.11.2017
Aktualisiert am 23.6.23

5 thoughts on “Viele „Borderliner“ haben Angst vor anderen Menschen mit schweren psychischen Störungen

  1. Tala sagt:

    Dankeschön :-)

  2. Dunja Voos sagt:

    Liebe Tala,
    das kann ich gut nachvollziehen. Ich achte in meinen Beiträgen immer darauf, dass ich schreibe: „manche Patienten mit dieser Störung …“ oder „die Patienten haben oft …“ oder „es kommt nicht selten vor, dass die Betroffenen …“. Das tue ich, um zu verdeutlichen, dass man eben die Betroffenen nicht über einen Kamm scheren kann. Ich habe diesen Beitrag auf diesen Gesichtspunkt hin nochmals überprüft und überarbeitet. Vielen Dank für Ihren Hinweis!
    Viele Grüße, Dunja Voos

  3. Tala sagt:

    Hallo Dunja,
    ich bin mit Borderline diagnostiziert und kann mich damit gar nicht identifizieren. Zwar hatte ich eine sehr instabile Mutter, das Problem war jedoch eher übergriffiges und abhängiges Verhalten. In Psychiatrien hatte ich nie Probleme mich abzugrenzen. Mir gefällt nicht, dass in dem Artikel alle Borderliner über einen Kamm geschert werden. Viele Grüße
    Tala

  4. Dunja Voos sagt:

    Liebe Kati,
    ich freue mich sehr über Ihren Kommentar, vielen Dank!
    Ja, es ist normal, dass man an viele Dinge erst nach sehr langer Zeit rankommt :-)
    Ich wünsche Ihnen einen guten Weg mit viel Mut und Vertrauen.
    Herzliche Grüße,
    Dunja Voos

  5. Kati sagt:

    Liebe Frau Voos,

    herzlichen Dank für diese vielen wertvollen Beiträge!! Ich lese Ihren Blog „rauf und runter“, oft auch um mich selbst wieder zu beruhigen. Weil ich mich hier so verstanden fühle!!! Ich denke oft – genau so fühle ich mich!
    Seit 2014 bin ich in analytischer Therapie und ich fühle mich ganz oft am Rande des Wahnsinns!! Durch Ihren Blog konnte ich mich immer mal wieder zumindest ein kleines bisschen runterholen, sofern ich mich nicht zu sehr verstrickt hatte. Ich erkenne mich in der Borderline Symptomatik teilweise wieder, auch wenn ich diese Diagnose selbst nicht habe, vielleicht auch deshalb weil meine Therapeutin kein Freund von vielen Diagnosen ist.
    Im Moment bin ich gefühlsmäßig auf Achterbahnfahrt, mein Antidepressivum habe ich abgesetzt, gleichzeitig geht die Therapie dem Ende zu nach 300 Stunden (nächstes Jahr im April), fühle mich dermaßen instabil. Auch habe ich das Gefühl, dass ich erst jetzt nach so langer Zeit an gewisse Dinge ran komme, ist das normal??
    Aber ich bin meiner Therapeutin auch enorm dankbar, dass sie „das“ mit mir ausgehalten hat, ich dachte so oft,ich habe sie zerstört, sie bricht jetzt die Therapie ab! Aber sie hat wirklich „alles“ mit mir ausgehalten und das schätze ich sehr!!

    Es ist wirklich sehr wertvoll, diese Arbeit, die Sie und auch alle anderen Analytiker leisten,!

    Vielen lieben Dank dafür!!

    Herzliche Grüße

    Kati

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