Tinnitus – der innere Quäler: Die „Bienenatmung“ kann entlasten

Wenn wir einen Tinnitus haben, befürchten wir vielleicht, verrückt zu werden, weil da was ist, was wir so absolut nicht wollen oder kontrollieren können. Der eigene Körper quält uns mit Tönen, Summen, Piepsen, Pochen und Geräuschen. Ohren kann man nicht verschließen, das ist ja schon im täglichen Leben so. Aber bei äußerem Lärm kann man sie sich zuhalten oder weglaufen. Da nutzen auch die zahlreichen Erklärungen nichts, etwa, dass jeder Ohrgeräusche habe, aber nicht jeder darauf höre. Das denke ich nicht. Ich denke, dass der Tinnitus tatsächlich ein „neuer Ton“ für den Betroffenen ist.

Manchmal kann es schon helfen, sich beim Ohrenarzt einen Ohrenpfropf entfernen zu lassen. Achtsamkeit kann dabei helfen, verschiedene Verstärker zu erkennen oder aber auch Dinge, die den Tinnitus reduzieren. So lässt sich wenigstens etwas Kontrolle zurückgewinnen.

Du kannst vielleicht diese kleine Körperhaltung ausprobieren, um ein Ohrgeräusch zu provozieren (klappt nur manchmal): Setze Dich gerade hin, Schultern entspannt. Dann schiebe den Unterkiefer langsam vor. Manche Menschen hören dann – kurzzeitig oder in dieser Position dauerhaft – ein Ohrgeräusch. Es ähnelt dem Ohrgeräusch, das man nach dem Verlassen eines Clubs mit lauter Musik hat. Möglicherweise wird es dem Ohr bei dieser Bewegung „zu eng“, sodass Geräusche kommen.

Das Nach-Hinten-Kippen des Kopfes kann den Ton manchmal reduzieren

Andersherum kannst Du vielleicht feststellen, wie das Ohrgeräusch etwas nachlässt, wenn Du den Kopf nach hinten kippst. Wenn Du den Kopf dann leicht zur Seite neigst, merkst Du wie der Musculus sterenocleidomastoideus hervortritt. Dieser Muskel zieht vom Knochen hinter dem Ohr (= Warzenfortsatz, Mastoid) zum Brustbein (Sternum) und zum Schlüsselbein (Clavicula).

Der Tinnitus ist nicht willkommen. Als ungebetener Gast bäumt er sich besonders dann auf, wenn man seine Ruhe haben will. „Mir entkommst Du nicht!“, schreit er. Doch manchmal, wenn man sich ihm widmet und nicht dagegen ankämpft, schläft er ein. Jeder kennt seinen Tinnitus am besten. Er ist nur innen laut. Nach außen hin lässt er sich nicht blicken, sodass man von ihm nur erzählen, aber ihn nicht zeigen kann.

Durch die Arbeit an den tiefen Muskeln, den kleinen Gelenken, an Nacken, Rücken und dem ganzen Körper kann sich Tinnitus wieder bessern. Manche sagen, dass sie mit Atemübungen des Yoga sehr gut zurecht kommen, auch wenn ein Tinnitus schon lange besteht. Die Übungen regen die Durchblutung an und bringen – bildlich gesprochen – mehr „frische Luft“ ins Ohr.

Hier kann die Übung „Bhramari Pranayama“ (Bienen-Atmung) wirkungsvoll sein. Sie wurde wissenschaftlich erforscht: „Role of self-induced sound therapy: Bhramari Pranayama in Tinnitus“ (2010): Fazit (übersetzt von Voos): „Wir sahen in der Studie, dass Bhramari Pranayama die mit dem Tinnitus verbundene Irritation, Depression und Ängstlichkeit deutlich reduzieren konnte. Die Übung linderte die Tinnitus-Symptome möglicherweise 1. durch den selbst produzierten Ton, 2. durch die Verstärkung der parasympathischen Nervenaktivität und 3. durch die Entspannung. Bhramari Pranayama könnte als leicht durchzuführende zusätzliche Therapie bei Tinnitus eingesetzt werden – sie wirkt wahrscheinlich durch ihre neuromodulatorischen (= das Nervensystem beeinflussenden) Eigenschaften.“ Gut gezeigt wird die „Bienen-Atmung) (Bhramari Pranayama) von Carlo De Paoli (Youtube, ab Minute 25.50)

Ruhig Blut

So wichtig es ist, „ruhig Blut“ bei Tinnitus zu behalten, so schwierig ist es auch, dies umzusetzen. Auch, wer schon jahrelang an einem Tinnitus leidet, hat immer wieder Phasen, in denen das Unkontrollierbare und Verfolgende des Tinnitus überwiegt. Tinnitus kann auch ein Teil des Alterungsprozesses sein. Traurig stellt man vielleicht fest, wie der eigene Körper nachlässt. Manche empfinden es so, als ob der Tinnitus ihnen ihre Freiheit, ihre Gesundheit, ihren funktionierenden Körper zerstört hätte. Manche personalisieren den Tinnitus und geben ihm einen Namen, um sich weniger bedroht und ausgeliefert zu fühlen.

Ein Tinnitus kommt nicht unbedingt durch äußere Geräusche von außen zustande, sondern unter Umständen durch extreme Verkrampfung, z.B. durch zu langes Sitzen oder eine ungünstige Körperhaltung im Schlaf. Wenn die (inneren) Muskeln einmal verkrampft sind, ist es nicht mehr leicht, sie loszulassen – viele kennen das von ihrem Rücken. Jeder kann sich selbst auf seine „Tinnitus-Reise“ begeben und schauen, welchen Sinn er macht, woher er kommt, wie er sich reduzieren lässt, was bei Kopfstand, Tauchen, Sport, Musikhören oder Meditation damit passiert.

Die Mystikerin Teresa von Avila schrieb ihren Text „Die innere Burg“ (1577, PDF bei michaelhabecker.de), als sie an einem Dröhnen im Kopf litt: „… weil ich schon seit der Monaten ein solches Dröhnen und eine solche Schwäche im Kopf fühle, dass ich selbst die unumgänglichen Schreibarbeiten nur mühsam erledigen kann.“

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Literatur:

Sidheshwar Pandey et al. (2010):
Role of self-induced sound therapy: Bhramari Pranayama in Tinnitus
Audiological Medicine, Vol. 8, 2010, Issue 3: Pages 137-141
DOI (Digital Object Identifier): http://dx.doi.org/10.3109/1651386X.2010.489694
http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.3109/1651386X.2010.489694

Kevin Hogan:
Tinnitus: Turning the Volume Down
Perfect Paperback, March 15, 2010
https://www.amazon.com/Tinnitus-Turning-Down-Revised-Expanded/dp/1934266035

Joannis Stefanidis:
Holy Freaks
https://www.amazon.com/Holy-Freaks/dp/3426788195/

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.5.2017
Aktualisiert am 17.8.2023

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