Werden wie die Mutter? Bloß nicht! Oder doch?

Als kleines Mädchen fanden wir unsere Mutter wahrscheinlich schön und wir waren ihr vielleicht ähnlich. Vielleicht waren wir ihr gegenüber jedoch gefühlt schon immer skeptisch. Irgendwann kamen wir in die Pubertät und fragten uns ernsthaft: „Wie will ich sein?“ – „Bloß nicht wie die Mutter“, denken wir vielleicht bis heute. Der Kampf zwischen Mutter und Tochter ist oft subtil. Während wir die Mutter oft ablehnen, kämpft sie mit ihrem (oft nicht bewussten) Neid. Sie muss hinnehmen, dass ihre Tochter jünger, vielleicht gesünder, hübscher, vielleicht gebildeter, zufriedener und kraftvoller ist als sie. Das schmerzt – und gleichzeitig freut es die Mutter. Wichtig ist es, dass der Neid bewusst wird – so lässt sich bewusst gegensteuern. Sonst kann es passieren, dass die Mutter ihrem Kind nichts Gutes gönnt.

„Ich bin hier die Mutter!“, versichert sich die Mutter ihrer selbst. „Warte erst mal ab, bis du selbst Kinder hast, dann siehst du, wie schwer das alles ist.“

Schwierig wird es, wenn die Mutter nach außen hin stolz ist auf ihr Kind und den Glanz des Kindes nutzt, um sich selbst zu verschönern. „Das Abitur hat sie nur, weil ich sie immer so gefördert habe“, sagt sie vereinnahmend. Das Mädchen bekommt das Gefühl: „Ich muss immer ein Schildchen vor mir hertragen, das besagt: Meine Erfolge habe ich nur meiner Mutter zu verdanken.“ Der Ärger wächst.

Oft haben die Mütter ihre Töchter „narzisstisch besetzt“. Das heißt, die Mütter stellen viele – oft unbewusste – Forderungen an ihre Töchter und die Töchter passen sich an, um die Liebe der Mutter und den Frieden zu erhalten. Die Mutter hat Angst vor Trennung und die Tochter spürt das (oft nur unbewusst). Also bindet sich die Tochter an die Mutter. Viele Frauen bemerken später, dass sie fast nur noch getan und gefühlt haben, was die Mutter wollte.

Und wer bin ich?

Manchmal wissen wir vielleicht gar nicht so richtig, wer wir sind. Was ist aus uns selbst gereift? Was ist mit Sicherheit nicht die Frucht der Mutter? Das sind vielleicht Fragen unserer Identitätskrise. Wir glauben vielleicht, eine Lösung bestünde darin, immer das Gegenteil von dem zu tun, was die Mutter tut und tat. Doch damit beschneiden wir uns in unserer Freiheit, denn die Mutter bestimmt so automatisch auch, was wir tun: nämlich immer das Gegenteil.

Frei sind wir erst, wenn wir „Ja“ sagen können, obwohl unsere Mutter auch „Ja“ sagt.

Zufriedene Mütter sind ein Segen

Wie schön ist es, wenn wir eine Mutter haben, die zufrieden mit sich selbst ist. So können wir uns auf unserem Weg in Ruhe mit unserer Mutter identifizieren und uns ihre guten Eigenschaften „zu eigen machen“, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Ist die Mutter zu neidisch auf ihre Tochter, dann will sie unbewusst vielleicht nicht, dass es der Tochter noch besser geht. Wenn das Mädchen sich dann mit den guten Teilen der Mutter identifiziert und dadurch reifer wird, kann es aber sein, dass es ein schlechtes Gewissen bekommt. Sie soll doch nicht besser werden als die Mutter! Die Tochter fühlt sich vielleicht so, als hätte sie die Mutter innerlich „beklaut“. Sie fühlt sich so, als dürfe sie der Mutter das Erwachsenwerden nicht „zumuten“. Sie meint, sie müsse sich heimlich entwickeln, damit sie auch ihre Erfolge für sich behalten kann.

Unzufriedene Mütter, unzufriedene Töchter

Als Mädchen nahmen wir wahrscheinlich – oft unbewusst – Rücksicht auf unsere Mutter. Nörgelte die Mutter viel mit uns herum, dann machten wir uns ihren kritischen Blick zu eigen. Wir können vielleicht nur selten zufrieden mit uns und unserem Körper sein. Wir finden kaum Kleidung, in der wir uns wohlfühlen. Wir trauen uns nicht, unsere Entwicklungsschritte zu gehen, aus Angst, der Mutter wehzutun. Wir wurden vielleicht zu grauen Mäuschen und ducken uns, wenn andere Frauen vorbeikommen, denen es besser geht. Aus solch einer inneren Verfassung herauszufinden, ist oft sehr schwierig, aber möglich. Es kann sehr befreiend sein, zu merken, dass wir manchmal wie die Mutter sein können, ohne um jeden Preis der Welt anders sein zu wollen als sie.

In einer Psychoanalyse werden solche Zusammenhänge greifbar. Mit der Therapeutin können wir neue Erfahrungen machen. Ich kann mich zum Beispiel mit der Therapeutin identifizieren und so werden wollen wie sie, ohne dass die Therapeutin dadurch beleidigt, gekränkt, übermäßig neidisch oder geschwächt ist. Ich merke dann in der Therapie: Ich darf mich in Ruhe mit meiner Therapeutin identifizieren, aber ich darf mich auch trennen und erwachsen werden, ohne befürchten zu müssen, dadurch die Therapeutin (die „Mutter“) zu schwächen oder ihren Neid und Hass auf mich zu ziehen.

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Dieser Beitrag erschien erstmals am 12.4.2013
Aktualisiert am 5.10.2023

3 thoughts on “Werden wie die Mutter? Bloß nicht! Oder doch?

  1. Fips sagt:

    Erneut ein guter Artikel.

  2. barbara sagt:

    Danke. Schmerzhaft und wahr. Es hat Klack gemacht und so viele Dinge werden klar.

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