43 Wie wird man Psychoanalytiker? Sitzungen dokumentieren – wie ausführlich soll man sein?

In der Psychoanalyse-Ausbildung (Beispiel DPV) stellt man die Sitzungen, die man mit seinen Ausbildungs-Patienten hat, jeweils nach jeder 4. Stunde einem Supervisor vor. Hier kommt es besonders auf das „szenische Verstehen“, also auf das Hintergrundgeschehen an. Man stellt also nicht nur dar, was einem mit dem Patienten widerfährt, sondern auch das, was man dazu phantasiert und was „Drumherum“ passiert. Man beschreibt die Handelnden und die Bühne dazu. Außerdem bildet man Hypothesen: Wie erkläre ich mir das, was da passiert? Das kann dazu führen, dass man anfangs jede Stunde detailliert aufschreibt. Beim ersten Analyse-Patienten, der 4-mal pro Woche kommt, klappt das noch wunderbar, doch beim zweiten Patienten kann es im Arbeitsalltag schon eng werden.

Dieses detaillierte Aufschreiben nach jeder Stunde für jeden Patienten ist in der hochfrequenten Psychoanalyse kaum möglich und auch nicht sinnvoll. Außerdem ist es aus meiner Sicht nicht gut, schon während der Stunden mitzuschreiben, weil man dadurch einen Abstand zum Patienten einführt, der einen so manches Geschehen nicht mitbekommen lässt.

Punktuelle Ausführlichkeit

Sinnvoll ist es aus meiner Sicht, die Stunden ausführlich aufzuschreiben, in denen eine Entwicklung stattgefunden hat. Es ist nicht immer leicht, auszuwählen, aber oft spürt man: „Das muss ich aufschreiben!“ Anhand dessen wird auch manchmal erkenntlich, was in den Stunden „wirklich“ passiert ist, die man zuvor für weniger wichtig hielt. Auch die Sitzungen, in denen alles zu stagnieren scheint, können im Rückblick wichtig sein. Natürlich schreibt man auch die Stunden, die man im kasuistisch-technischen Seminar (KT) vorstellen möchte, relativ ausführlich auf.

Häufig reicht es, sich stichpunktartige Notizen zu machen und nur die Stunde gründlicher vorzubereiten, die vor der nächsten Supervision stattfindet. Entscheidende Punkte wie z.B. die Erzählung des ersten Traums (Initialtraum) oder des Gegenübertragungstraums in einer Analyse sollten natürlich besonders ausführlich aufgeschrieben werden.

Ob man so vorgehen möchte oder nicht, hängt auch von den Vorlieben des Supervisors ab. Manche Supervisoren brauchen nichts Schriftliches, sondern gehen die Stunden anhand der spontanen Einfälle und Erinnerungen mit einem durch.

Ich selbst habe das Geschriebene doppelt ausgedruckt, um es zum Supervisor mitzunehmen. Manchmal nutzten wir in der Besprechung das Gedruckte gemeinsam, manchmal blieb der Ausdruck in der Tasche liegen. Einige Kollegen nehmen nur noch ihren Laptop mit.

Nach der Stunde auch die Gedanken während des Schweigens notieren

Wenn Patienten in einer Sitzung lange schweigen, gehen einem oft viele Gedanken durch den Kopf. Hier kann es sinnvoll sein, die eigenen Gedanken und Gefühle nach der Sitzung genauer aufzuschreiben. Ich selbst schreibe in den Stunden nie mit, weil es mich zu sehr ablenkt. Gerade dann, wenn eine Phase des Schweigens eintritt, erscheint es mir wichtig, gemeinsam zu schweigen und selbst auch nichts aufzuschreiben. Sehr selten mache ich eine kurze Notiz während der Sitzung.

In den Dokumentationen und Erzählungen über den Patienten sollten in der Regel keine vollständigen Namen und Städtenamen auftauchen. Man spricht häufig von „Frau A.“ oder „Herrn B.“. In Ausnahmefällen ist es jedoch sinnvoll, den ein oder anderen vollen Namen zu erwähnen, weil Namen mit bestimmten Assoziationen verbunden sind. Wir leben schließlich auch mit den unbewussten Bedeutungen unserer Namen – so kann es z.B. interessant werden, wenn ein narzisstischer Patient „(Auf-)Schneider“ heißt oder ein Patient mit einer Essstörung den Nachnamen „Esser“ trägt. Auch für Supervisoren und Supervisorinnen gilt die Schweigepflicht. In öffentlichen Seminaren oder Prüfungen kommen weiterhin nur Abkürzungen vor.

Weniger ermüdend als Word: Notizblöcke

„Ich habe für jeden Patienten ein eigenes Notizbuch“, sagt eine Kollegin. „Ich habe ein Notizbuch für alle Patienten“, sagt eine andere. Die handschriftliche Arbeit auf Papier ist oft weniger ermüdend als das Eintippen am Rechner. Zwar müssen Patientendokumentationen auch elektronisch gespeichert werden, aber da reichen Zusammenfassungen. Die Notizbücher kann man zusammen z.B. mit USB-Sticks in verschließbaren Fächern lagern. Manche nutzen auch die Diktierfunktionen oder Spracherkennungsprogramme wie „Dragon“ (nuance.com) oder für das iPhone Apps wie z.B. „Diktat – Sprache zu Text“.

Patienten haben das Recht, Einblick in die Dokumentation des Analytikers zu nehmen. Auch das sollte man im Hinterkopf behalten. Da kann es unter Umständen sinnvoll sein, in fraglichen Fällen eine „offizielle Dokumentation“ anzulegen sowie eine private mit persönlichen Notizen wie z.B. eigenen Assoziationen und Gegenübertragungsträumen. Auch kann man mit Patienten, die einen Einblick in die Notizen wünschen, darüber sprechen, was dies für sie bedeutet und mit ihnen eruieren, warum sie das wollen. In der Psychoanalyse ist es meiner Erfahrung nach besser, wenn der Patient nichts über sich selbst liest.

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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 24.7.2016
Aktualisiert am 12.6.2023

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