Corona: Was ist wahr? Der Kampf zwischen Psyche und Körper

Als ich die ersten Corona-Bilder aus China sah und man dort begann, die Menschen zu isolieren, dachte ich: „Jetzt übertreiben sie aber.“ Als hier die Schulen schlossen und mir wichtige Menschen nicht mehr die Hand reichten, war ich verwirrt. „Was passiert hier?“, fragte ich mich. Das Wort „Schutz“ kam auf, was in mir oft Wohlbehagen, aber manchmal eben auch Unbehagen auslöst. So oft spüre ich: Das Wort „Schutz“ wird allzu leicht missbraucht. Im guten Sinne hingegen ist Schutz etwas Beruhigendes, Lebensrettendes, Wertvolles.

Im ersten Semester meines Medizinstudiums lernte ich bereits 1992: „Viele von uns, die wir hier in diesem Hörsaal sitzen, werden wahrscheinlich an einer Infektion sterben. Infektionen sind die Gefahr des neuen Jahrhunderts.“

Das Suchen nach innerer Orientierung an bisher Gelerntem

Als immer mehr Schutzmaßnahmen auftauchten, dachte ich: Wo habe ich im Studium nicht aufgepasst? Was ist jetzt so immens gefährlich? Ich dachte an AIDS 1982, aber auch an Ebola, was mir wirklich mächtig Angst machte. Das Corona-Virus ängstigte mich anfangs relativ wenig.

Dann aber sah ich Bilder von Menschen meines Alters, die an Corona erkrankt waren und ich bekam doch Angst: Diese Atemnot muss der Horror sein. Die FDP-Politikerin Karoline Preisler zeigte sich auf Twitter (@PreislerKa), als sie an COVID-19 erkrankte und schrieb etwas von „Verrecken an der Tastatur“. Sie sah extrem krank aus und ich bekam eine Ahnung, wie man sich bei der schweren Infektion fühlen muss.

Seither hielt nun auch ich bewusst Abstand.

Manches geht mir zu weit

Doch dann schlossen auf einmal die Psychotherapie- und Psychoanalyse-Praxen und ich bekam erneut Angst – diesmal nicht vor dem Virus, sondern vor dem Gefühl, dass hier wirklich Merkwürdiges passiert. Was mir Unbehagen bereitete war die Tatsache, dass vernünftige, studierte, nachdenkdende Menschen anscheinend fraglos bei dieser Bewegung mitmachten, während mein Hausarzt seine Praxis weiterlaufen ließ und weiterhin ein Gefühl von „Menschsein“ vermittelte. Auch hier kam wieder die Frage auf: Was ist richtig?

An der Stelle, als Psychotherapeuten ihre Praxen schlossen und manche begannen, die Telefon- und Online-Therapie über Gebühr zu loben, wurde mein Kummer wirklich groß.

Ich dachte an die Experimente des Psychologen Harry Harlow. Er konnte ab 1957 an Rhesus-Äffchen zeigen, wie notwendig nicht nur die Nahrung, sondern auch das Kuscheln ist. Die Äffchen, die ohne Mutter in einem Käfig waren, gingen nur zu einer „Draht-Attrappe“, um sich dort Milch abzuholen, kuschelten sich jedoch sonst in die „Fell-Attrappe“ ein.

Ich dachte daran, wie Babys sterben können, wenn man sie nur ernährt, aber nicht mit ihnen spricht und sie nicht berührt. Ich dachte an die Vojta-Therapie, bei der Babys von der Mutter entsetzlich gequält werden, nur damit sich körperlich ihre Motorik und ihre Spastik verbessern.

Wir befinden uns in einem Kampf zwischen Körper und Psyche

Der spirituelle Lehrer Eckhart Tolle sieht die jetzige Entwicklung als einen nachvollziehbaren Schritt zu mehr „Bewusstsein“ an. Es gehe um die Unterscheidung von mitunter quälendem Denken und innerem Sein, um klares Bewusstsein und Verwirrung.

Auf der Suche nach mehr Klarheit halten sich die Menschen gegenseitig Zahlen vor und versuchen verzweifelt, das Virus und die Epidemiologie zu verstehen. Doch sie sehen, dass sich das alles (noch) nicht zufriedenstellend fassen lässt.

Gebannt höre ich die vielen Beiträge des Virologen Professor Christian Drosten (Charité Berlin). Auch die Virologin Professor Marylyn Addo, (Deutsches Zentrum für Infektionsforschung) und die Lungenforscherin Professor Susanne Herold vom Uniklinikum Gießen tun mir mit ihrer besonnenen und hochkompetenten Art gut.

„Wo stehst Du?“

Als ich gefragt wurde, auf welcher Seite ich denn stehe, ob auf der Seite von Drosten oder Wodarg, fragte ich erst einmal, was Wodarg sei. Dann fragte ich mich, ob ich denn überhaupt auf einer Seite stehen müsse oder ob das überhaupt möglich ist. Es ist alles so komplex, dass wir nur Stück für Stück schauen können.

In den letzten Tagen fühle ich mich beruhigter, weil ich sehe, wie nun auch Kritiker der jetzigen Vorgehensweise zu Wort kommen dürfen. Als ich ein Interview des kritischen Immunologen Professor Stefan Hockertz (Uni Hamburg) auf Facebook teilte, wurde ich gewarnt, dass dieser Experte von der AfD unterstützt werde. Ich rief ihn an und er versicherte mir, dass er nichts mit der AfD zu tun habe.

Wie gefährlich ist es? Dieses neuartige Corona-Virus verursacht Lungenentzündungen in einer Schwere, die so bisher selten gesehen wurde (Studien siehe unten). Auf ZDF heute online wurden die Thesen des Mikrobiologen Sucharit Bhakdi unter die Lupe genommen: „Corona-Faktencheck: Warum Sucharid Bhaktis Zahlen falsch sind.“ Von Nils Metzger, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-faktencheck-bhakdi-100.html 23.3.2020.

Sehr wertvoll finde ich die Beiträge des Palliativmediziners Matthias Thöns auf Facebook: Er erklärt, dass die Beatmung auf Intensivstation leidvoll ist und nur bei wenigen Patienten das Überleben so sichert, dass sie gesund aus dem Krankenhaus gehen. Er schlägt unter anderem vor, im Fall einer schweren Infektion die Hilfe eines Palliativmediziners zu Hause anzunehmen.

Und das eigene Bild?

In mir selbst entstand das Bild vom „Russisch Roulette“: Das Virus kann oft nichts ausrichten, doch bekommst Du – warum auch immer – einen schweren Verlauf, dann ist es grausam und lebensgefährlich. Beide Lungenflügel werden von einer extremen Lungenentzündung befallen. Entzündetes Gewebe stellt sich zwischen die Alveolen (Lungenbläschen) und Kapillaren (feine Blutgefäße, die Sauerstoff aufnehmen und Kohlendioxid abgeben). Es scheint bisher eher eine Frage von Glück oder Pech zu sein, bis wir mehr erforschen künnen. Es wirkt so unberechenbar.

„Ein Virus darf nicht zu gefährlich sein, sonst nimmt es sich selbst die Lebensgrundlage. Das ‚weiß‘ es auch und optimiert sich dementsprechend – das heißt: Es wird mit der Zeit weniger tödlich“, hörte ich im Studium.

Die Chancen

Am nachhaltigsten lernen wir durch die Extreme, auch wenn sie katastrophal sind. Doch sie berühren uns zutiefst und die Lehren, die wir aus solchen Zuständen und Erfahrungen ziehen, sind meistens sehr stabil. Diese Corona-Zeit ist extrem und wir werden in einigen Jahren viele wertvolle Schlüsse daraus ziehen können. Diese Schlüsse reichen weit über die Erkenntnisse der Immunologie und Epidemiologie hinaus. Es wird auch auf die Frage, ob der Körper immer Priorität hat, neue Antworten geben.

Ohne Körper können wir nicht leben – er muss geschützt werden. Doch für viele wird das „nackte Überleben“ irgendwann extrem quälend, sodass sie von sich aus den Tod suchen, wenn die Psyche aushungert. Wir alle brauchen Berührung.

Und so findet jeder für sich gerade seinen Weg. Auch als Psychotherapeutin suche ich nach einer Haltung und finde zu diesem Zeitpunkt zu diesem Schluss: So sehr ich in gesunden Zeiten die Online-Therapie als gute Möglichkeit feiere, so sehr bin ich in diesen Tagen dafür, dass psychotherapeutische Praxen – unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen – zumindest für die schwer leidenden Menschen geöffnet bleiben.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Studien zur Schwere der COVID-19-Pneumonie:

Einzelfallstudie: Weiren Luo et al. (9.3.2020):
Clinical pathology of critical patient with novel coronavirus pneumonia (COVID-19)
DOI: 10.13140/RG.2.2.22934.29762, https://www.researchgate.net/publication/339939319_Clinical_pathology_of_critical_patient_with_novel_coronavirus_pneumonia_COVID-19, PDF

Einzelfallstudie: Zhe Xu et al. (2020):
Pathological findings of COVID-19 associated with acute respiratory distress syndrome.
The Lancet Respiratory Medicine, Puplished February 18, 2020,
DOI: https://doi.org/10.1016/S2213-2600(20)30076-X
https://www.thelancet.com/journals/lanres/article/PIIS2213-2600(20)30076-X/fulltext

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