
Die Scham ist stärker als ich. Mein Wille ist kleiner als sie. Meine Wünsche wachsen, doch die Scham wächst mit. Und so ist die Scham-Mauer immer höher, als ich es selber bin. Ich kann noch nicht einmal darüber schauen. Die Scham zwingt mich dazu, in einem Gefängnis zu leben, weil sie mir alles verbietet. Ab und an spüre ich Kampfeslust. Es ist mein Wille, die Scham zu bezwingen. Doch es geht nicht. Es hat nichts mit Willen zu tun. Ich kann nicht. Das zu aktzeptieren ist der erste Schritt zur Freiheit.
Scham ist auch Schutz. Doch wenn der „Schutz“ auf hinderlichen unbewussten Phantasien beruht, wird er zum Gefängnis.
Es sind oft nicht die großen Dinge, die Scham in uns hervorrufen. Oft ist es „leicht“, mit jemandem ins Bett zu gehen, aber unfassbar schwierig, den anderen liebevoll anzublicken. Oft ist es leicht, zu provozieren und dolle Sachen zu machen, während es sehr kompliziert wird, wenn wir an Berührung denken oder zarte Gefühle zulassen.
Wie kann ich mich von Schamgefühlen befreien?
Sich von unnatürlich hemmenden Schamgefühlen zu befreien, ist sehr schwierig. Natürlich haben wir auch eine „natürliche Scham“ in uns, aber wir können gut unterscheiden, ab wann die Scham krankhaft wird. Doch auch krankhafte Scham hat ihre Funktion. Wir können überlegen, was das sein könnte – wir können spekulieren, wahrnehmen, phantasieren, uns erinnern und versuchen, alleine oder mithilfe eines anderen Stück für Stück die inneren Mauersteine zu finden und sie zu bewundern. Manchmal lösen sie sich dadurch nach und nach auf.
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Dieser Beitrag erschien erstmals am 30.6.2016
Aktualisiert am 5.5.2020
Melande meint
Liebe Frau Voos,
wenn ich ein bischen experimentiere und in Ihrem Beitrag das Wort „Scham“ einfach mal austausche gegen das Wort „Selbstunsicherheit“, dann passt der Abschnitt perfekt auf mich. Das tut gut. Vielen Dank dafür!
Melande
Melinas meint
Das Thema Scham hat mich schon in der Kindheit immer begleitet und mich nie verlassen.