
Es gibt zwei große Lebensgefühle: Das Lebensgefühl, alleinstehend, also „Single“ zu sein und das Lebensgefühl, „in Beziehung“ zu sein, also einen Partner zu haben. Manche fühlen sich so, dass nichts einen Sinn ergibt, solange sie nicht in einer Beziehung leben. Das Gefühl, geliebt, berührt und gestreichelt zu werden ist für viele etwas Alltägliches, für andere ein weit entfernter Traum. „Ich bin nicht allein“ ist der Grundgedanke und das Grundgefühl eines Menschen, der in einer gesunden Partnerschaft lebt.
Kann man dieses gute Gefühl auch ohne Partner haben?
Single zu sein ist manchmal wie ein Leben im Dauer-Liebeskummer. Niemand da, der einem den Rücken wärmt. „Ein leeres Bett ist immer ein kaltes Bett“, hörte ich eine alte Frau sagen, die über 40 Jahre lang nach dem Tod ihres Mannes alleine lebte. Das Lebensgefühl ohne Partner ist ein anderes als das Lebensgefühl mit Partner. Man könnte es vielleicht vergleichen mit zwei Essensgerichten, die unterschiedlich schmecken.
So mancher Mensch ohne Partner fühlt sich extrem einsam und manchmal auch mit anderen Menschen kaum verbunden. Was diese Menschen von anderen trennt, ist manchmal – ohne dass sie es merken – ein abgrundtiefer Hass. „Warum bin ich allein und alle anderen sind es nicht?“, fragen sie sich. „Wie konnte es kommen, dass ich mich allein in der Hölle wiederfinde?“, fragen sich manche, insbesondere Menschen mit schweren frühen Traumata.
Dieser Hass, der oft unbewusst ist, ist oft die Abwehr psychischen Schmerzes. Der Hass trennt den Betroffenen von seinen Mitmenschen und lässt ihn verzweifeln. Das Gefühl, unverstanden zu sein, ist riesig. Andere scheinen psychisch längst nicht so schwer verletzt zu sein wie man selbst.
Wenn es gelingt, den Hass ausfindig zu machen und zu erkennen, wie sehr er das Verbundenheitsgefühl durchtrennt und einen ins Abseits schiebt, dann kann das Gefühl entstehen, wieder handlungsfähig zu werden. Wenn der Hass abgelegt werden kann – z.B. durch einen Entschluss, durch einen Zufall oder eine Weiterentwicklung – dann geht die Verbindungstür wieder auf. Es kann sein, dass man sich dann wieder mit anderen Menschen verbunden fühlt – so verbunden, dass man sich fühlt wie ein Familienangehöriger.
Bei dem Versuch, Hass loszuwerden, besteht die Gefahr, ihn zu verdrängen. Dann können körperliche Beschwerden die Folge sein, z.B. ein Reizdarmsyndrom. Die Kunst ist es, ihn zu erkennen und zu fühlen und dann zu bearbeiten.
Wenn man seinen Hass kennenlernt und ihn ablegen kann, dann kann vieles geschehen. Man ist vielleicht weiterhin ohne Partner, aber man kann wieder fühlen, wie es ist, gemocht und geliebt zu werden. Man kann sich wieder verbunden fühlen wie zu Geschwistern oder guten Eltern oder zu guten alten und weisen Menschen. Man wird wieder zu einem Teil des Ganzen.
„Meine Brüder, die Liebe ist eine Lehrerin, aber man muss es verstehen, sie zu erwerben! Sie lässt sich nämlich nur schwer erwerben und muss teuer erkauft werden durch lange Arbeit: Man muss nicht nur für einen zufälligen Augenblick lieben, sondern für das ganze Leben.“ Fjodor Dostojewski: Die Brüder Karamasow, Anakonda-Verlag 2010, S. 477
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