Es ist nicht zu fassen: Unzählige Menschen mit psychischen Leiden suchen nach einem Psychotherapeuten und finden keinen Therapieplatz. Genauer: Unzählige Menschen mit psychischen Leiden, die bei der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind, suchen nach einem Psychotherapeuten, der einen Kassensitz hat, und finden keinen Therapieplatz. Ich führe eine Privatpraxis, weil ich keinen „Kassensitz“ erhalten kann. So geht es vielen meiner psychotherapeutischen Kollegen auch.
Kreativität ohne Lösung?
Möglicherweise könnte ich einen Antrag auf „Sonderbedarfszulassung“ stellen, also als ärztliche Psychotherapeutin auf Zeit einen außerordentlichen „Kassensitz“ erhalten, wobei noch nicht klar ist, ob dies für den „Facharzt für Arbeitsmedizin“ (meine Grundausbildung) möglich ist, da ich noch nicht einmal die notwendige „Lebenslange Arztnummer“ erhalte. Außerdem müsste ich mit einem halben Kassensitz die Versorgung garantieren – ich wäre also zeitlich so eingeengt, dass ich dies neben Weiterbildung und Kindererziehung nicht hinbekommen könnte. Viele andere Kollegen haben viele andere oder ähnliche Gründe.
Fakt ist:
Ich versuche, Kassenpatienten über das Kostenerstattungsverfahren bei mir aufzunehmen. Ich sitze viele Stunden über Anträgen und bekomme diese oftmals nicht durch. Der Patient bleibt draußen und ich mit leeren Stühlen drinnen. Das führt dazu, dass ich fast ausschließlich Privatpatienten und Selbstzahler suche und annehme. Doch die vielen AnruferInnen, denen ich absagen muss, bleiben weiterhin ohne Psychotherapieplatz. Und das tut auch mir weh, mit anzusehen. Ich bin ja auch gerade deshalb Psychotherapeutin geworden, um Menschen aus allen sozialen Schichten zu helfen und gerade, um Menschen ohne berufliche Perspektive wieder in die für sie passende Arbeitswelt bzw. „in das Leben“ zu führen. So sieht es aus. Bei mir und vielen, vielen anderen Kollegen: Leere Therapiestühle drinnen und draußen verzweifelte Patienten und Patientinnen. Alle warten darauf, dass sich endlich etwas tut. Täglich.
Linktipp:
Anne-Ev Ustorf
Das lange Warten auf einen Therapeuten
Süddeutsche: 8.9.2018
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