
„Mir ging es am Ende der Stunde wirklich nicht gut und dennoch hat mein Analytiker die Sitzung pünktlich beendet. Manchmal finde ich, dieser strenge Rahmen hat etwas Grausames“, erzählt ein Patient. Die Psychoanalyse ist für ihren „strengen Rahmen“ bekannt. Auch, wenn jeder Analytiker eigene Wege findet, so gilt doch meistens: Es gibt in der Psychoanalyse keine Berührungen außer dem Händeschütteln am Anfang und am Ende der Stunde. Die Stundenzahl ist festgelegt auf drei, vier oder fünf Sitzungstermine pro Woche. Normalerweise liegt der Patient auf der Couch, der Analytiker sitzt dahinter. Was gesagt wurde, unterliegt der Schweigepflicht. Und vor allem: Die Stunden beginnen auf die Minute genau und enden ebenso pünktlich. Muss der Patient eine Stunde absagen, wird ein Ausfallhonorar fällig. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Der Rahmen eröffnet die innere Spielwiese
Die Psychoanalyse braucht diesen „strengen Rahmen“, weil sie dem Unbewussten Raum gibt. Das Unbewusste ist „unbegrenzt“, es tobt sich aus, es ist chaotisch. Der Patient setzt unbewusst Dinge in Szene, die in höchstem Maße emotional sind. In der Psychoanalyse geht es sehr stark um traumatische Erfahrungen, um alptraumartige Zustände, um Hass, Wut, Neid, Alleinsein und Gewalt. Der Patient – auch wenn er das bewusst nicht möchte – stellt Altbekanntes wieder her. Er greift den Analytiker mitunter an, will ihn verwirren, nimmt ihn mitunter in seinen Bann, quält ihn oder will ihn verführen. Der Patient „macht“ es so, dass es sich wieder so anfühlt wie früher. Ein sicherer Rahmen ermöglicht es, dass sich diese Szenen entfalten und er ist wie ein Ufer: Patient und Analytiker wissen, dass die schweren und die schönen Stunden ein Ende haben.
Der Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering (1818-1892) sagte zur „Form“, was auch auf den Rahmen der Psychoanalyse zutrifft:
„Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen.“
Rudolf Jhering: Haften an der Äußerlichkeit. III. Der Formalismus. § 45. Nachzulesen bei: http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/jhering_recht0202_1858?p=203
Psychoanalyse ist ein bisschen wie die Tagesschau: (fast) täglich, pünktlich, die Form wahrend.
Rahmenbrüche wirken traumatisch
Die Ferien des Analytikers sind für Analyse-Patienten oft eine Herausforderung. Werden die Urlaubstage schlecht abgesprochen, ist dies für die Patienten besonders traumatisch. Rahmenbrüche jeglicher Art sind in der Psychoanalyse „gefährlich“, können zur (Re-)Traumatisierung und Therapieabbrüchen führen. Der amerikanische Psychoanalytiker Robert Joseph Langs (1928-2014) schreibt:
„Der Rahmenbruch an sich – ob im täglichen Leben oder in der Therapie – ist ein weiteres Element, das ganz beachtlich zur traumatischen Ladung einer schmerzvollen Situation beiträgt. Beispielsweise ist die körperliche Attacke, die eine Mutter gegenüber ihrem Kind ausübt, weitaus schlimmer als eine ähnliche Attacke, die von einem Fremden ausgeht. Abweichungen, die vom Therapeuten ausgehen, wie eine Honorarerhöhung, eine Veränderung des Sitzungstermins oder das Gespräch mit einem Verwandten des Patienten, sind immer sehr traumatisch.
„Frame breaks per se – in everyday life and even more so in therapy – are another element that adds considerably to the traumatic valence of a hurtful situation. For exemple, a physical attack by a child’s mother is a far more traumatic experience than a similar assault from a stranger, while hurtful deviations by the therapist, such as increasing a fee or changing the time of a session or seeing a relative of a patient are, as noted, always strongly traumatic.“
Robert Langs: Science, Systems and Psychoanalysis, Karnac Books, New York, 1992: S. 163
Interessanterweise können auch Bemühungen, den Rahmen aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen, in gewisser Weise ebenfalls traumatisch wirken. Robert Langs schreibt:
Bestimmte Formen von Stress haben stark traumatisierende Wirkung: Hierzu gehören körperliche Angriffe, Krankheit, Rahmenbrüche jeglicher Art und Rahmen-sichernde Momente. Obwohl letztere eigentlich heilsam und nicht-traumatisierend sind, lösen sie auf einer bestimmten Ebene Stress aus. Sie mobilisieren Ängste vor dem Tod, dem Eingesperrtsein und ähnliches.“
„Particular forms of stress have strong traumatic valences: these include physical attack or illness, frame breaks of any kind, and frame-securing moments that, though inherently curative and non-traumatic on one level, are universally stressful on another – mobilizing death, entrapment and similar anxieties.“
… For certain vulnerable patients who harbour traumatic memories in their D_UCS-M Systms (Anmerkung: Deep Unconscious Memory System), secure frame moments are paradoxically dreaded because of the terrible images they conjure up – most of them to premature and over-intense exposure to death-related issuses that the system deeply feels unprepared to process (Langs, 1988a).“ (S. 163)
„There is much to be studied regarding the potential for SOL (Anmerkung: System Overload) under secure and deviant frame conditions.“ (S. 168)
„Ich bin so müde vom Halten des Rahmens“
Den Rahmen zu halten ist oftmals anstrengend – sowohl für den Analytiker, der verantwortlich ist, als auch für den Patienten mit seinen Sehnsüchten, Aggressionen und Schwächen: Jede Stunde pünktlich zu erscheinen, ist für viele Patienten schwierig. Und der Analytiker denkt vielleicht: „Manchmal habe ich das Bild, ich müsste einen schweren Holzrahmen halten und meine Arme werden immer schwächer.“ Diese Situation kennen Eltern vielleicht, wenn sie mit ihren Kindern am Ende ihrer Kräfte sind, wenn sie lieber mal nachgeben, anstatt zu diskutieren oder einen Punkt zu setzen und wenn es ihnen schwer fällt, konsequent zu sein. Manche Eltern meinen, sie müssten sich anstrengen, um von den Kindern „Respekt“ zu erhalten. Doch der Respekt kommt von selbst, wenn die Eltern ihr Kind respektvoll behandeln und auch sich selbst ernst nehmen können. Der Vater/die Mutter bleibt der Vater/die Mutter. Der Analytiker ist immer der Analytiker. Die Vorstellung, dass der Rahmen in gewisser Weise auch etwas „Naturgegebenes“ ist, kann erleichtern.
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