PsychoanalytikerInnen stehen oftmals vor ähnlichen Anforderungen wie Eltern eines Kindes. Es ist wichtig, den Patienten nicht für seine eigenen narzisstischen Bedürfnisse zu missbrauchen (man soll also nicht nur deswegen behandeln, weil man das Gefühl genießt, gebraucht und „bewundert“ zu werden). AnalytikerInnen sollen auf ihre Gesundheit achten: Für Patienten kann der Ausfall einer Stunde in manchen Phasen eine Katastrophe sein. Zudem ist es unangenehm, mit Zahnschmerzen, Tinnitus, Erkältung und vegetativen Reaktionen zu therapieren.
PsychotherapeutInnen sollen ihre Patienten (wie Eltern ihre Kinder) nicht „als Partnerersatz missbrauchen“ – wer gerade alleinstehend oder unglücklich verheiratet ist, kann hier unter Druck geraten, nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, man hätte die therapeutische Situation nötig.
„Haben PsychoanalytikerInnen einen Körper?“, könnte man manchmal fragen.„Sie dürfen dem Paketboten die Tür öffnen, aber Sie sollten die Sitzung nie unterbrechen, weil Sie zur Toilette müssen“, hörte ich einmal einen erfahrenen Psychoanalytiker sagen. „Einmal erlebte ich eine Psychoanalytikerin, die in der Gruppentherapie einen Schlaganfall erlitt, aber darauf bestand, die Therapiesitzung noch zu beenden“, erzählt ein Weiterbildungskandidat.
„Ich habe einsame Tage hinter mir und freue mich, wenn mein Patient gleich kommt. Er nimmt mir ein wenig meine Einsamkeit.“ Darf ein/e PsychoanalytikerIn das denken? Oder gar vor KollegInnen aussprechen? Warum nicht? Wichtig ist, dass man die Gefühle und Gedanken bewusst wahrnimmt und therapeutisch nutzt. Das Schöne an der Psychoanalyse ist ja, dass sich beide – PsychoanalytikerIn und PatientIn – entwickeln können. Die Gegenseitigkeit wird in Sätzen wie diesen deutlich: „Der Patient litt unter demselben Phänomen wie ich. Das hat mich in dem Augenblick auf eine Art erleichtert.“ Oder: „Der Patient hat mich unbemerkt mit seiner Aussage getröstet.“ Oder: „Der Patient hat unwissentlich für mein Problem eine Lösung ausgesprochen.“
Das Vorhaben, ein/e gute/r PsychoanalytikerIn zu werden und zu sein, kann schleichend zu unguter Abwehr führen. Körperliche wie psychische Leiden lassen sich nicht abstellen, wenn ein Patient vor der Tür steht.
„Ich hatte heute schon eine gute Therapie bei meinem Patienten“, könnte man manchmal sagen.
Die Patienten sind emotional abhängig vom Psychoanalytiker, aber der Psychoanalytiker ist auch abhängig von seinen Patienten, zum Beispiel finanziell. Auch der Psychoanalytiker wählte diesen speziellen Beruf wahrscheinlich aus, weil er sich davon einen inneren Gewinn verspricht. „Das ist egoistisch“, könnte man sagen. „Das ist menschlich“, könnte man auch sagen. Es ist ähnlich wie mit der Frage nach den Kindern. Manche sagen, Kinder zu bekommen, sei ein rein egoistisches Phänomen. Doch solange wir darüber nachdenken können, was in uns vorgeht, können wir es mitteilen, in Grenzen steuern, bearbeiten, damit spielen und es für die eigene Kreativität nutzen.
Die buddhistische Nonne Pema Chödrön schreibt in ihrem Buch: „Wenn alles zusammenbricht“, wie Hunger, Durst, Zeitnot, Müdigkeit, Streit, Not und Unlust all unseren guten Vorsätzen immer wieder in die Quere kommen. Sie beschreibt die Technik des „Tonglens“, einer speziellen Form der Atem-Meditation, die uns eigentlich gegen den Strich geht: Beim Tonglen atmet man das Leid (sein eigenes und/oder das der anderen) ein und Linderung aus. Damit öffnet man sich dem Moment, dem Guten sowie dem Scheußlichen. PsychoanalytikerIn zu sein ist vielleicht auch eine Art geistiges „Tonglen“: Wir öffnen uns dem Leid und verdauen es. Dabei braucht unser eigenes Leid, unsere eigene Unzulänglichkeit, Schmutzigkeit, Bedürftigkeit genauso viel Platz wie das Leid des Patienten.
Mensch bleiben
Auch als PsychoanalytikerIn hinter der Couch bleibt man Mensch – genau wie der Pilot in seiner Uniform. Wir neigen dazu, zu denken: Sobald der Pilot seine Uniform trägt, sind die menschlichen Regungen weg. Sobald der Analytiker hinter der Couch sitzt, muss er perfekt funktionieren – wie eine Maschine. Der Pilot Chesley B. Sullenberger, der 2009 ein Passagierflugzeug im Hudson River notlandete, sagte in einem Interview, dass ihm erst mal schlecht geworden sei, als er die Notsituation erfasste. Eine menschliche Regung. Er blieb handlungsfähig und das wünschen sich PsychoanalytikerInnen auch: handlungsfähig zu bleiben in der Not. Doch auch das geht nicht immer. Manchmal ist man auch als Psychoanalytiker, als Chirurg, Polizist, Pfarrer, Mutter, Vater, Lehrer, als Pilot … einfach nur überfordert. Doch das Schöne daran ist, dass man es nutzen kann, dass man – wenn auch erst im Nachhinein – damit arbeiten und daran wachsen kann.
Der Psychoanalytiker Ralf Zwiebel (DPV) schreibt in seinem Buch „Der Schlaf des Analytikers“ (Klett-Cotta 1992/2010: S. 153): „Ich glaube in der Tat, dass es diese tiefe Angst ist, wirklich umfassend ‚erkannt‘ und dann verstoßen, verlassen oder verlacht zu werden, die sich in unseren immer wieder verzweifelten Versuchen, die scheinbar intakte Fassade aufrechtzuerhalten, niederschlägt. Und es ist offenbar so schwer, wirklich zu glauben, dass man nur ‚überleben‘ und lebendig werden kann, wenn alles sichtbar und anerkannt werden kann.“
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