
Fangen wir bei den Eltern an: Nicht wenige sind auf der körperlichen Ebene stark verunsichert, wenn sie ihrem Kind nahe sind. „Darf ich mich beim Wickeln auch mal ekeln? Darf ich beim Stillen oder Toben mit dem Kind auch erregt sein?“ Die meisten Eltern erschrecken, wenn sie ihre körperlichen Reaktionen bemerken. Manche sind sich selbst so fremd und erfuhren so wenig Halt, dass sie ihre körperlichen Empfindungen gar nicht bewusst wahrnehmen oder sie sofort verdrängen. Es ist nicht die Erregung selbst, nicht der Ekel und der bewusste Umgang damit, was dem Kind schadet, sondern es ist das rasche Verdrängen, das Nicht-Bemerken und Nicht-Akzeptieren von dem, was ist. So vermitteln die Eltern dem Kind unbewusst Abneigung, Ekel und die eigene Unsicherheit mit dem Körper – und diese unbewusste Vermittlung ist schwer greifbar. (Text & Bild: © Dunja Voos)
Mutter und Vater in der eigenen Psyche
Nicht wenige Eltern wurden emotional selbst so schlecht gehalten, dass sie „ungehalten“ sind: Bei ihren Kindern rutscht ihnen leicht die Hand aus. Sie führen vielleicht gewaltsame Therapien (z.B. die Vojta-Therapie) durch oder stellen ein sexuell aufgeladenes Familienklima her. Die Kinder spüren, wenn die Eltern selbst ein schlechtes Verhältnis zum eigenen Körper haben. Kinder leiden darunter, wenn sich ihre Mutter nicht schön kleidet oder der Vater „kein richtiger Mann“ ist. Kinder sind da sehr konservativ – sie lieben diese Schemata und jedes Kind nimmt Anteile von Mutter und Vater in die eigene Psyche auf. Es fühlt sich so an, als seien diese Anteile der Eltern zu Teilen des eigenen Selbst geworden. War die Beziehung zu den Eltern nicht gut, ist die innere paradoxerweise erschwert. Die schädigenden Auswirkungen der Eltern sind stärker als bei Kindern, die mehr positive Erfahrungen machen und sich abgrenzen durften.
Sportunterricht und Co.
In der Schule kann der Sportunterricht die schlechte Beziehung zum eigenen Körper verschlimmern: Wer beim Basketball auf der Bank sitzen bleibt, wer unglücklich schwitzend der/die Letzte beim Lauf ist, wer an Speckröllchen im Schwimmunterricht leidet, fördert unwillentlich die schlechte Beziehung zum eigenen Körper. Im Erwachsenenalter kommen vielleicht wenig einfühlsame Partner, überanstrengende Fitnessprogramme und übertriebene Diäten hinzu. Man quält und quält sich, aber die Beziehung zum eigenen Körper wird dennoch bzw. gerade deswegen nicht besser.
Das Verhältnis zum eigenen Körper bestimmt auch die Sexualität
Wer mit übergriffigen Eltern groß wurde und Gewalt erlebte, hat es schwer mit seiner Sexualität. Viele Menschen leiden unter dem Gedanken, vielleicht pervers zu sein, weil sich schmerzhafte und aversive Erfahrungen aus der Kindheit mit sexuellen Gefühlen und Phantasien verbunden haben. Besonders schwer haben es hier Menschen, die als Kind sexuell missbraucht wurden oder die Vojta-Therapie erlitten haben. Die sexuell höchst aufgeladenen Szenen verwirren die Babys/Kinder auf das Äußerste. Sie sind erregt auf der Flucht vor dem Schrecklichen, was ihnen geschieht. Wenn sie erwachsen sind, haben sie entweder gar keine sexuellen Erfahrungen oder sie halten sich aufgrund ihrer sexuellen Phantasien für extrem pervers. Sie verbieten sich außerdem, eigene sexuelle Erregung zu spüren – aus Schuldgefühl und Angst vor schrecklichen Folgen.
Der Weg zum eigenen Körper und zu einer guten Sexualität
Der Weg „zurück“ zum eigenen Körper ist unglaublich langwierig. Er fängt schon oft mit der Frage an, wie man sich kleiden soll oder wie man es machen kann, dass man sich vor sich selbst nicht mehr ekelt. Man macht sich auf die Suche nach einem Sport/einer Bewegung, die passt, nach gesunder Ernährung, nach Musik und nach guten Menschen. Man kämpft gegen die Einsamkeit. Man sucht das Gefühl, ein eigenständiger Mensch zu sein, dessen Grenzen geachtet werden. Man versucht, sich abzugrenzen und die Türe zu schließen, ohne vor schlechtem Gewissen zu vergehen. Traurigkeit, Nähe und Zärtlichkeit zulassen zu können, ist extrem schwierig für viele Menschen mit frühtraumatisierenden Erfahrungen.
Wo findet man das Gute?
Unsere Kultur erleichtert es den Suchenden nicht gerade, eine Orientierung zu finden. Während brutalste Filmszenen bei Youtube für Kinder abrufbar sind, sind Filme über liebevolle Sexualität erst ab 18 freigegeben. Der Brite Eyal Matsliah widmet sich seit Jahrzehnten der Frage, wie sich befriedigende Sexualität finden, aber auch lehren lässt. Mit seinem Projekt Intimatepower.com wendet er sich an jeden, der befriedigende Sexualität finden möchte, besonders aber auch an Opfer und Täter von sexueller Gewalt.
„No one teaches us how to have sex.
We’re supposed to somehow figure it all out by ourselves.
People watch porn, hoping to learn something, and it FUC*S them up even deeper.
We awkwardly fumble with each other’s bodies, trying to get it right.“
„Niemand lehrt uns Sex. Wir sollen es irgendwie selbst herausfinden. Die Leute schauen sich Pornos an und hoffen, etwas daraus zu lernen, aber es frustriert sie noch mehr. Wir fummeln ungeschickt an unseren Körpern herum und versuchen es irgendwie richtig zu machen.“
www.intimatepower.com/events/
Frauen, die noch nie Sexualität hatten
Während meiner Recherche zu den psychischen Spätfolgen der Vojta-Therapie stoße ich immer wieder auch auf Frauen, die noch nie mit einem Mann geschlafen haben, die sogar Selbstbefriedigung nicht kennen. So tief sitzt das Trauma, sitzt die Scham. Andere Frauen wiederum haben seit Jahrzehnten keine Sexualität erlebt, haben Sehnsucht danach, wissen aber nicht, was sie tun können. Manche entdecken die „Yoni-Massage“ als eine gute Möglichkeit für sich, auch, wenn manche danach ein Leeregefühl beklagen, weil auch eben das keine Partnerschaft ersetzen kann. Frauen, die aufgrund von Partnerlosigkeit nicht schwanger werden, können sich manchmal den Kinderwunsch über künstliche Befruchtung erfüllen – z.B. in der Storkklinik in Dänemark.
Völlige Ahnungslosigkeit kann auch beglücken
Doch auch die völlige Ahnlungslosigkeit kann zum Glück führen. In dem Film „7 Brüder“ erzählt einer der Brüder, er habe keine Ahnung von irgendetwas gehabt, sei völlig unaufgeklärt gewesen – doch als er das erste Mal mit seiner Frau schlief, sei es eine ganz wundervolle überraschende Erfahrung gewesen. Er wünsche sich, dass mehr Menschen diese Erfahrung machen dürften: Aus völliger Unwissenheit und Ahnungslosigkeit heraus plötzlich dieses Glück zu fühlen. Er wünscht sich weniger Aufklärung und so, wie er es sagt, kann man es sofort nachvollziehen. Viele Wege führen nach Rom …
Verwandte Artikel in diesem Blog:
Wie wird man Psychoanalytiker? 25: Sexuelle Erregung in der Psychoanalyse
Über das Gefühl, ekelig zu sein
Zärtlichkeit ist eine Schicht
Wünsche an den Vater und eigenes Körperempfinden hängen eng zusammen
Kann Brustmassage die Verdauung beeinflussen?
Links:
Ann-Marlene Henning
doch-noch.de
Eyal Matliah
intimatepower.com
wwww.juliet-allen.com
Mal Weeraratne
www.malweeraratne.org/my-work/
Schreibe einen Kommentar