Jetzt, am 10.3.2016 seit 20.15 Uhr läuft auf 3SAT die Sendung „Tod auf Rezept“. Die Sendung zeigt, wie schnell Patienten Antidepressiva und andere Medikamente erhalten: Schon nach einem 5- bis 15-minütigen Gespräch mit einem Arzt kommen Patienten mit einem Medikamentenrezept aus dem Behandlungszimmer.
Notizen:
– Patienten erzählen, wie sie durch Psychopharmaka teilweise noch kränker wurden.
– Der amerikanische Psychiater David Healy klärt kritisch über Psychopharmaka auf.
– Philippe Even ist emeritierter Professor der Universität Paris-Descartes. Er vergleicht Psychopharmaka mit einer Bowling-Kugel: Die Kugel könne den richtigen Kegel treffen, oft aber treffe sie falsche Kegel oder viele wichtige Kegel drumherum.
Gert Scobel spricht in seiner Sendung (10.3.2016, 21 Uhr) über den „Therapienotstand – was hilft der kranken Seele?“
Seine Gäste:
– Professor Eva-Lotta Brakemeier, Psychologische Hochschule Berlin. Psychotherapeutische Richtung: Kognitive Verhaltenstherapie und Interpersonelle Psychotherapie
– Dietrich Munz, Psychologe, Physiker, Psychoanalytiker und Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Sonnenberg-Klinik Stuttgart
– Holger Schulz, Versorgungsforscher, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf
Notizen:
– Prozac (Wirkstoff: Fluoxetin) war eines der ersten Antidepressiva. Es ist ein Selektiver Serotonin-Aufnahmehemmer (SSRI) und wird für Selbstmorde und Mordanschläge in den USA verantwortlich gemacht.
– Munz: „Es erhalten mehr Patienten Antidepressiva als Psychotherapie.“
„Man sollte immer einen Blick auf die Suizidalität haben.“
– Brakemeier: „Bei schweren Depressionen sollte man immer in Kombination behandeln: Medikamente plus Psychotherapie.“
(Anmerkung: Leider steht das so auch in den Leitlinien. Meiner Meinung nach sollte man auch das kritisch betrachten. Meiner Erfahrung nach fühlen sich depressive Patienten durch eine Psychoanalyse so gut gehalten, dass Medikamente eher irritieren, überflüssig sind oder sogar schaden, weil die Betroffenen wie „abgepuffert“ durch die Welt gehen.)
„Medikamente sind wichtig“ – warum immer diese Aussage?
Ich bin schon enttäuscht, dass Dietrich Munz und Eva-Lotta Brakemeier es so darstellen, dass Antidepressiva einen außerordentlich wichtigen Stellenwert hätten. Es ist, als gäbe es da eine Angst, etwas anderes zu sagen. Wahrscheinlich ist da auch ein starker „Glaube“ an die Medikamente. Vielleicht haben sie auch nicht erlebt, wie depressive Menschen in der Psychoanalyse ohne Medikamente behandelt werden können. Mich erinnert die Diskussion an die Diskussion der natürlichen Geburt: Die Befürworter der PDA (Periduralanästhesie) sagen: „Warum sollte die Frau leiden?“, während die Befürworter der natürlichen Geburt sagen: „Der Schmerz hat seinen Sinn.“
Zu Wort kommt auch die Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber, Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts.
– Brakemeier: „Psychoanalytiker haben zu wenig randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt.“
– Scobel zitiert den Psychiater Manfred Lütz, Alexianer-Krankenhaus, Köln: „Wer problemlos drei Monate auf eine Behandlung warten könnte, der wäre auch nicht richtig krank.“ (ZEIT: „Psychische Erkrankungen: Seelenqual, die keinen kümmert“, 20.3.2014)
Möglichst früh? Die Angst vor „Chronifizierung“
– Holger Schulz plädiert für eine frühe Behandlung nach dem Denken: „Wenn eine psychische Störung erstmal chronifiziert, dann …“ Auch diese Sichtweise finde ich sehr schwierig. Psychische Störungen sind meistens nicht mit einem entzündeten Blinddarm zu vergleichen. Diejenigen, die Hilfe suchen, leiden schon sehr lange. Warum das Argument „Möglichst frühe Abklärung und Therapie“ bei psychischen Erkrankungen oft fehl am Platz ist, schreibe ich hier: „Wann mit einer Psychotherapie beginnen?“ Etwas anderes ist es, wenn ein Patient mit starkem Leidensdruck nach einem Therapeuten sucht: Dieser Patient braucht natürlich so schnell wie möglich Hilfe.
Munz: „Psychotherapie ist immer anstrengend – auch für den Psychotherapeuten.“ Ja, auch. Aber Psychotherapie kann auch eine Freude sein und entspannend – für den Patienten und den Therapeuten.
Interessante Links:
Sandra Knümann:
Eine Depression ist kein Beinbruch
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