„… auch nicht mit einer guten“, so heißt. Mit diesem Argument trat kürzlich eine Journalistin aus der Konferenz ADHS zurück. Aber ist das richtig? Regt dieser hohe Anspruch nicht auch zu einer Art Scheinheiligkeit an? Auch Paartherapeuten, Jugendamtsmitarbeiter, Lehrer und Richter sollen „neutral“ sein. Doch sie sind alle nur Menschen und man merkt allzuleicht, für welche Seite das Herz des „Neutralen“ schlägt.
Eigene Meinung deutlich kennzeichnen
Auch ich nenne mich „Medizin-Journalistin“. Auch ich gehöre der Konferenz ADHS an. Ich recherchiere gründlich und lasse verschiedene Seiten zu einem Thema zu Wort kommen. Beim Thema „Psyche“ schlägt mein Herz für die Psychoanalyse. Natürlich schreibe und informiere ich auch über verhaltenstherapeutische Ansätze. Ich schreibe auch über ADHS aus psychiatrisch-stoffwechselbetonter Sicht. Um zu informieren. Und doch weiß der Leser, wofür ich persönlich stehe. Auch in meinen Büchern weise ich darauf hin, dass sie psychoanalytisch orientiert sind, weil ich die Psychoanalyse kenne und schätze. Wichtig hierbei finde ich einzig und allein den inneren und äußeren Umgang mit seinen Herzensangelegenheiten.
Sich selbst gut kennen
Wer sich selbst gut kennt, kann freier mit seiner eigenen Meinung umgehen. In Paartherapien kann es zum Beispiel leicht vorkommen, dass einer der Beteiligten sich bevorzugt oder benachteiligt fühlt. Sagt der Therapeut dann, er sei neutral, wird er unglaubwürdig. Kennt er sich aber gut, kann er sagen: „Ja, das stimmt. Im Moment kann ich mich eher mit Ihrer Frau identifizieren und ihre Beschwerden nachvollziehen. Jetzt können wir ja mal schauen, warum das so ist. Was ist hier passiert?“ Mit so einer Aussage würde der Therapeut bei der Wahrheit bleiben und die Entwicklung hin zu anderen Gefühlen ermöglichen. Natürlich kann der Therapeut sein Empfinden auch für sich behalten und den betroffenen Partner gleich fragen, warum er das Gefühl hat und wie es sich entwickelt hat. Wichtig ist, dass der Therapeut weiß, was innerlich bei ihm los ist und sich nicht selbst damit belügt, indem er sagt, er sei neutral.
Der Kopf bleibt drauf
Aus meiner Sicht ist es völlig in Ordnung, wenn sich ein Journalist mit einer Sache gemein macht. Deswegen verliert er ja nicht seinen (selbst-)kritischen Kopf und seine Recherchefähigkeiten. In seriösen Zeitschriften trennt man Werbe-/PR-Texte und journalistisch-neutrale Texte genau, indem man Werbung deutlich als solche kennzeichnet. So weiß der Leser, in welchem Umfeld er sich bewegt und wie er die Information einzuordnen hat. Wenn ein Journalist einen „neutralen“ Text schreibt, ist er dennoch ein Mensch, der genau zu diesem Thema, über das er schreibt, auch eine ganz eigene Meinung hat. Doch wenn er seine eigene Meinung kennt, fällt es ihm auch leichter, „neutral“ zu bleiben. Ich bedaure den Rücktritt einer Journalistin aus „unserer ADHS-Konferenz“ sehr.
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