Mobbing in der Schule

Wut, Ohnmacht, Unverständnis – das erleben wohl die meisten, wenn klar wird, dass ein Kind in der Schule gemobbt wird. „Mob“ ist das englische Wort für „Meute“. Mobbing bedeutet, dass ein Täter sich ein Opfer aussucht und es gemeinsam mit seinen Mitläufern triezt. Wann immer Menschen zu einer Gruppe zusammenfinden, kann sich eine Mobbing-Situation entwickeln. Den Opfern geschieht dabei großes Leid. Doch auch der Täter bringt mit seinen Taten zum Ausdruck, dass mit ihm etwas nicht stimmt.

Risikofaktor: Fehlendes Selbstbewusstsein

Bei der Erklärung dafür, wie Mobbing entstehen kann, wird oft der Blick auf das Opfer gerichtet. Schüler, die an verschiedenen Schwächen leiden, können leicht zum Mobbing-Opfer werden. Fehlendes Selbstbewusstsein, Kleidung, die auf Armut schließen lässt, unangenehmer Geruch, Teilleistungsschwächen oder Schwächen im Sportunterricht bieten oft eine Angriffsfläche. Doch auch, wenn man sich mit den Tätern befasst, wird schnell deutlich, dass fehlendes Selbstbewusstsein ein Teil des Problems ist. Häufig ist eine tiefe innere Unsicherheit der Auslöser dafür, dass ein Schüler zum „Mobber“ wird.

Wo die Worte fehlen, wird gehandelt

Schüler spielen in der Schule und mit ihren Mitmenschen oft nach, was sie zu Hause erleben, wofür sie jedoch nur schwer Worte finden. Lebt der Schüler zu Hause unter emotionaler Anspannung, erlebt er Demütigungen oder sogar Gewalt, dann wird er mit einem „Nachspielen“ dieser Situationen auf seine missliche Lage aufmerksam machen. Mit dem einseitigen Mitleid für das Opfer und den verachtenden Fingerzeig auf den Täter ist also niemandem geholfen. „Wer erfolgreich Mobbingphänomene bearbeiten will, der muss sich mit der Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen und sich besonders um die Entwicklung des Selbstwertgefühls kümmern“, sagt Dr. Karl Gebauer in seinem Buch „Mobbing in der Schule“. Der ehemalige Grundschuldirektor aus Göttingen befasst sich seit Jahren intensiv mit diesem Thema.

Merkt der Lehrer nichts, hat der Mobber leichtes Spiel

Wird ein Schüler von einem Mitschüler gemobbt, bemerken das meistens alle Klassenkameraden. Allein dem Lehrer bleibt die Situation oft über lange Zeit verborgen. Dadurch gewinnt der Täter an Macht. Er kann sein Opfer dank seiner Mitläufer „ungestört“ systematisch ausgrenzen, es verbal oder auch körperlich attackieren.

Die Mitläufer laufen meistens nicht freiwillig mit. „Die Mitläufer beteiligen sich oft, weil sie hoffen, dadurch nie in die auswegslose Situation eines Opfers zu geraten“, so Gebauer.

Ein Mobbingprozess ist jedoch nur so lange ein Selbstläufer, solange er unentdeckt bleibt. Wird er aufgedeckt, hat er oft ein schnelles Ende.

Vom Kleinsten zum Größten

„Im Zentrum von Mobbingprozessen steht die Umwandlung eines Ohnmachtsgefühls. Innere Leere, die mit Unsicherheit einhergeht, wollen die Betroffenen auf diese Weise in eine Allmachtsgefühl umwandeln“, erklärt Gebauer. Der Täter will durch seine Tat die Kontrolle gewinnen, die ihm innerlich abhanden gekommen ist. Emotionale Sicherheit ist sein höchstes Ziel. Größenphantasien spielen dabei eine besondere Rolle. Gerade Kinder, die sich eigentlich minderwertig fühlen, entwickeln häufig Größenphantasien. Damit können sie ihr geringes Selbstwertgefühl ausblenden. Wenn sie dann ihre Größenphantasien in die Tat umsetzen, fühlen sie sich in diesem Moment groß und stark. Allzu leicht lässt dieses Gefühl der Stärke jedoch nach. So wird der Täter zu immer weiteren Taten getrieben. Er kämpft gegen sich selbst.

Analyse der äußeren und inneren Situation

Für Lehrer ist es wichtig, nicht nur die äußere Mobbing-Situation zu analysieren, sondern auch die inneren Szenen, die sich bei den Beteiligten abspielen, zu verstehen. Lehrer können durch echtes Interesse an den Schülern oft mehr bewirken, als sie selbst glauben. Denn auch der Täter sendet dem Lehrer Signale, dass etwas nicht in Ordnung ist. Er hat einerseits Angst, entdeckt zu werden, möchte jedoch andererseits mit seiner inneren Not bei jemandem „ankommen“ und verstanden werden.

Mobbing ist ein Signal an die Erwachsenen

Eine Mobbingtat ist auch ein Signal an die Erwachsenen und der Täter hat Glück, wenn er auf Erwachsene trifft, die aufnehmen können, was er zeigen will. Kinder, die nie gehört werden, wollen auf sich aufmerksam machen. Wer zu Hause viel Ohnmacht erfährt, will endlich einmal mächtig sein. Kinder, die zu Hause Gewalt erfahren, saugen diese Erfahrungen förmlich auf.

„Solche Kinder haben auf Konflikte nur eine sehr einseitige Sicht- und Erlebnisweise. So können bereits kleinere Streitereien große Angst auslösen. Diese Angst versucht das Kind dann, durch einen Gewaltakt rasch zu überwinden. Es hat nicht die Möglichkeit, die Streiterei differenziert zu interpretieren oder über andere Handlungsmöglichkeiten als die Gewalt nachzudenken“, erklärt Gebauer.

Nach der aggressiven Tat folgen Scham, Verdrängung und die Angst, entdeckt zu werden. So kommt es zu neuen aggressiven Handlungen und der Kreislauf erhält sich aufrecht.

Geborgenheit schützt vor Mobbing

Den besten Schutz vor Mobbing, bieten Geborgenheit, Bindung und Stärkung der sozialen Kompetenz. Lehrer können den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, ihre Phantasien mit der Realität abzugleichen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Indem sie den Schülern zeigen, dass sie Interesse an ihnen haben, dass sie sie achten und für ein vertrauensvolles Klima sorgen, können sie dem Mobbing vorbeugen. Dabei ist es wichtig, dass auch der Lehrer sich selbst gut kennt und möglichst an Supervisionsrunden teilnimmt. „Lehrer sollten sich darum bemühen, sich mit den Nachbardisziplinen der Pädagogik zu beschäftigen und sich Wissen aus der Entwicklungspsychologie, Psychoanalyse, Psychotherapie, Säuglings-, Bindungs- und Hirnforschung anzueignen“, empfiehlt Karl Gebauer. Das ist oft ein großer Aufwand für Lehrer, die unter engen Rahmenbedingungen leiden. Doch auf Dauer wird der emotionale und zeitliche Aufwand Früchte tragen.

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Links:

Karl Gebauer
Mobbing in der Schule
Beltz Taschenbuch 2007

www.gebauer-karl.de

Schulpsychologische Beratungsstellen in Deutschland: www.schulpsychologie.de
Schulpsychologische Beratungsstellen in der Schweiz: www.schulpsychologie.ch

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am 7.8.2012
Aktualisiert am 27.4.2014

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