Postpartale Depression: Was kann ich nur tun?

Dein Baby ist da und Du kannst es nicht lieben (meinst Du). Wäscheberge, Isolation und Babygeschrei. „Wie ist das alles zu schaffen?“, denkst Du vielleicht. Anders als beim „Babyblues“, den Heultagen, finden Frauen bei einer Postpartalen Depression (englisch: postpartum depression) aus ihrer Erschöpfung und inneren Leere oft nur wieder langsam heraus. Wenn Du Mutter wirst, dann werden vermutlich auch unbewusste Erinnerungen an die eigene Baby- und Kleinkindzeit wieder wach. Wenn Du nie so sein wolltest wie Deine Mutter, dann hast Du jetzt etwas mit ihr gemeinsam: Du bist nun auch Mutter. Die Frage der Identität wird während der Schwangerschaft und nach der Entbindung ganz schön auf den Kopf gestellt.

Du nimmst auf gewisse Weise gerade Abschied von einer alten Identität, aber auch von dem Kind in Deinem Bauch, das noch kurz zuvor nur Dir gehörte. So viele Phantasien hattest Du zu Deinem Kind. Und nun ist da eine Realität. Die Gefühle sind gemischt.

Im Gegensatz zum traurigen, begrenzten „Babyblues“ leiden die Mütter bei der Postpartalen Depression (post = lat. „nach“, partus = lat. „Leibesfrucht“) an einem schwer zu beschreibenden, unangenehmem Zustand. Wenn Du betroffen bist, musst Du vielleicht viel weinen. Oder aber Du fühlst Dich vielleicht ganz dumpf und die Tränen kommen nicht, obwohl Dir zum Heulen zumute ist. Der wenige Schlaf ist unruhig und nicht erholsam. Gedanken wie: „Ich werde das Kind nicht großziehen können, es ist besser, wenn mein Partner das alleine macht“ können dazukommen. Hier spiegeln sich große Ängste wider, die mit dem Muttersein verbunden sein können.

Aggressionen in der Phantasie

Vielleicht leidest Du auch unter der aggressiven Phantasie, Du könntest Dir oder dem Kind etwas antun. Solche Gedanken und Impulse kennen viele Betroffene. Besonders Psychotherapeuten sind damit vertraut – Du darfst also ruhig darüber sprechen. Solche erschreckenden Impulse können möglicherweise die Folge von Gedanken und Gefühlen sein, die Du Dir selbst verbietest. Du willst eine gute Mutter sein und hast einen hohen Anspruch. Doch aggressive Gedanken gehören dazu. Es reicht, wenn Du eine „ausreichend gute“ Mutter bist.

Die Postpartale Psychose. Neben dem Babyblues und der Postpartalen Depression gibt es noch die Postpartale Psychose. Hiervon sind etwa 3 von 1000 Müttern betroffen. Die betroffenen Mütter haben Wahnvorstellungen, sehen Tiere oder hören Stimmen, die gar nicht da sind. Manche sind dabei in einer manischen Stimmung und geben sich rastlos unsinnigen Aktivitäten hin. Die Psychose beginnt in den ersten zwei Wochen nach der Entbindung. Meistens bildet sie sich vollständig zurück.

Ursachen der Postpartalen Depression

Häufig sind Frauen betroffen, die eine schwere Entbindung hinter sich haben – Frauen, die gleich nach der Entbindung Stunden oder Tage von ihrem Kind getrennt waren oder die sich ohnmächtig plötzlich einem Kaiserschnitt unterziehen mussten, obwohl sie sich nichts mehr gewünscht hätten als eine natürliche Geburt. Von der Depression betroffen sind häufig Mütter, die eine schwierige Beziehung zur eigenen Mutter hatten und selbst als Baby nicht gut bemuttert wurden (siehe z.B. Lawrence D. Blum, 2007).

Gleichzeitig kann auch der Vater an einer postpartalen Depression leiden, was häufig unentdeckt bleibt (Paternal Postpartum Depression, Janice H. Goodman, 2003). Wenn Dein Partner plötzlich viel mehr arbeitet, sich nicht für sein Baby interessiert oder sogar eine Affäre hat, dann fühlt sich das für Dich wahrscheinlich wie eine Katastrophe an. Doch vielleicht hilft der Blick von außen: Ihr seid wahrscheinlich beide verzweifelt. Niemand will dem anderen wirklich etwas Böses, doch Angst und Hilflosigkeit sind zu groß, um so zu sein, wie ihr es von euch selbst oder vom anderen wünschen würdet.

Eine Postpartale Depression fällt nicht vom Himmel und lässt sich meistens verstehen.

Nicht wenige Betroffene haben in ihrer eigenen Babyzeit Traumatisches erlebt – frühe medizinische Behandlungen, Verwahrlosung oder Trennungen. Das eigene Baby kann uns auf gewisse Weise an diese frühen eigenen Traumata erinnern. „Ich habe als Baby die Vojta-Therapie erhalten und kann das Schreien des Babys überhaupt nicht ertragen – wahrscheinlich, weil ich selbst als Baby so sehr in Not geschrieen habe“, sagt eine Mutter. Auch Partnerschaftsprobleme und frühe Erfahrungen, die der Partner gemacht hat, können zur Postpartalen Depression beitragen: „Mein Partner hatte während der Schwangerschaft eine Affäre – ich komme nicht darüber hinweg“, sagen manche. Der Partner selbst bereut das vielleicht: „Ich konnte es nicht ertragen, dass aus meiner Partnerin nun eine „Mutter“ wurde“, sagt ein Mann, der eine psychisch kranke Mutter hatte.

Was kann ich tun, wenn ich keine Kraft habe, einen Psychotherapeuten oder eine Schreibabyambulanz aufzusuchen?

  • Sei achtsam mit Dir selbst – Mindfulness kann auch bei Postpartaler Depression wirksam sein. (Natacha Godbout et al., 2023)
  • Du kannst jederzeit die telefonseelsorge.de anrufen.
  • Wenn Du Dein Baby im Arm hältst, schaue ihm auf den Mund, wenn Du kannst und beobachte. Vielleicht kannst Du ein paar seiner Mundbewegungen oder Laute imitieren.
  • Höre einmal auf Deine Stimme – kannst Du sagen, wie sie klingt? Achte auf Deine Selbstgespräche – sprichst Du fordernd mit Dir? Überlege, ob Dir eine gute Stimme einfällt, die innerlich zu Dir spricht und sowas sagt wie: „Ach, Schätzchen, es wird nicht so schwer bleiben.“ Wer hat mir Dir nett gesprochen? Eine Lehrerin vielleicht? Eine Nachbarin, eine Apothekerin? Wenn Du an die guten Stimmen in Dir denkst, dann kann es sein, dass auch Deine Stimme gut klingt und schwingt.
  • Achte auf ganz einfache Dinge wie z.B. genügend Essen, Trinken, Eisen und Vitamin B12. Du kannst regelmäßig zum Hausarzt oder Frauenarzt gehen, um Dir die Werte bestimmen zu lassen.
  • Viele kleine Dinge wirken: Dich fünf Minuten auf den Boden zu legen oder Dich eine Minute auf den Luftstrom an Deinem Naseneingang zu konzentrieren, kann Dich vielleicht zumindest etwas wieder öffnen.
  • Bereite Dir selbst Wärmekissen (z.B. Kirschkernkissen) vor und stelle Deine Füße darauf, wenn Du die Zeit dafür findest. Achte auf frische Luft und gute Gerüche. Bewege Deinen Körper zwischendurch bewusst durch.

Wenn Dein Baby Dich traurig macht

Die Mutter, die auf ihr Kind blickt, schaut auch immer einen Teil vom Partner an. Spannungen in der Partnerschaft oder der Wunsch, am liebsten doch nicht eben von jenem Mann schwanger geworden zu sein, können hinter der Depression stecken. Es ist gar nicht so leicht, mit der Liebe. Wenn Du getrennt bist, ist es vielleicht auch schwierig für Dich, die Liebesgefühle zuzuordnen: Wie fühlst Du Dich, wenn Du an den Vater des Kindes denkst, an Deinen jetzigen Mann, an Deine frühere Beziehung? Vielleicht bist Du selbst in Deiner Kindheit zu kurz gekommen, sodass ein unbewusster Neid auf Dein eigenes Kind erwächst. Vielleicht erinnert Dich Dein Baby an Deine Mutter, was Dir widerstrebt oder die Geschichte eines verstorbenen Kindes, die nicht verarbeitet wurde, macht Dich unruhig.

Und natürlich ist Dir wahrscheinlich Deine persönliche Geburtsgeschichte mit Deinem Kind ganz nah – wohl bei jeder Geburt passieren auch sehr traurige und schreckliche Dinge. Das alles anzuschauen, fällt im Alleinsein oft sehr schwer – aber es geht. Vielleicht kannst Du auch mit jemandem darüber sprechen oder Tagebuch schreiben (in den wenigen Momenten, in denen Dich Dein Kind nicht beansprucht).

Auch aggressive Gefühle bewusst zuzulassen, ist oft ein wichtiger Schritt, um aus der Depression wieder zu mehr Lebendigkeit zu finden. Diese Schritte erfordern viel Mut. Viele Mütter sind nicht gut vorbereitet auf das, was nach der Geburt kommt. Körperliche Schwäche, Müdigkeit, entzündete Brustwarzen und vieles mehr haben oft nichts mit den schönen Bildern zu tun, die man sich vorher vielleicht vorgestellt hat. „Warum hat mir das vorher niemand gesagt?“, denken da viele Mütter.

Die Kinder beanspruchen die Mutter voll

Ein Baby beansprucht seine Eltern über die Maßen. Wenn Du vielleicht schon seit der Schwangerschaft „alleinerziehend“ bist oder Dein Mann kaum anwesend sein kann, zehrt es sehr an Deinen Kräften. Auch Partnerschaftskonflikte sind in dieser Zeit besonders kraftraubend. Der Rat, den Haushalt kürmelig sein zu lassen, hilft Dir vielleicht nicht, denn auch Du brauchst Ordnung um Dich herum. Achte darauf, Dich so oft wie möglich einfach hinzulegen, und wenn Du Dich nur für fünf Minuten auf den Boden legst, um kurz auszuruhen. Wenn Du ein Schreibaby hast, geben Dir die Lehr-Filme der Psychoanalytikerin beatricebeebe.com vielleicht gute Anregungen. Schau, wo Du selbst Bemutterung findest – und wenn es „nur“ in einem netten Café ist. In die chaotische Zeit wird mit der Zeit Ordnung hineinkommen. Geldsorgen und berufliche Sorgen „on top“ lassen Dich vielleicht zusätzlich verzweifeln.

Doch auch wenn Du jetzt alles in Frage stellst, kannst Du sicher sein, dass die Zeit weiter geht. Ich finde, der Spruch „Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen“ trifft nicht wirklich zu. Gerade am Anfang sind Mutter, Vater und Kind unglaublich verletzlich. Mit der Zeit wird sich mehr Stabilisierendes und Erleichterndes einstellen.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Natacha Godbout et al. (2023):
Parents‘ history of childhood interpersonal trauma and postpartum depressive symptoms:
The moderating role of mindfulness.
Journal of Affective Disorders
Volume 325, 15 March 2023, Pages 459-469
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0165032723000198

Heterogenity of postpartum depression: a latent class analysis.
The Lancet Psychiatry, Vol. 2, Issue 1, January 2015, Pages 59-67
https://doi.org/10.1016/S2215-0366(14)00055-8
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2215036614000558
refers to: Leah H. Rubin, Pauline M. Maki: Elucidating postpartum depression through statistics. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2215036614000935

Cramer, Bertrand; Palacio-Espasa, Francisco:
Psychotherapie mit Müttern und ihren Babys
Kurzzeitbehandlungen in Theorie und Praxis
Psychosozial-Verlag 2009

„Postpartale Depression“, ICD-10: F53.1

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am: 28.10.2011
Aktualisiert am 27.11.2023

One thought on “Postpartale Depression: Was kann ich nur tun?

  1. JoVo sagt:

    Danke für diesen Artikel, der nichts dramatisiert und keine Schuld vergibt. Mir erscheint besonders der letzte Absatz wichtig und viel zu selten erwähnt.

    Grüße

    JoVo

Schreibe einen Kommentar