Die Seele wohnt auch in den Muskeln

Der Sitz der Seele liege im Zwerchfell (Diaphragma), so glaubte man im alten Griechenland. Das Zwerchfell ist ein Muskel, der den Bauchraum vom Brustraum trennt. Wie alle Muskeln verspannt es sich besonders bei Ärger, Angst und nicht zuordenbaren, unheimlichen Gefühlen. Das Zwerchfell fühlt sich manchmal an wie ein „Boden“ in unserem Körper. Wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren, fühlen wir, wie ein Ruck durch unsere Körpermitte geht. Eine Einsicht hingegen, ein Aha-Effekt, führt zur Erleichterung, zum Aufatmen und zu einem Gefühl von neuer Durchlässigkeit, aber auch neuem Halt.

Wohl jeder spürt – wenn er darauf achtet – wie er sich verkrampft, sobald unangenehme Gefühle entstehen. Mit der Verkrampfung will man sich vor den Gefühlen schützen. Je nach Körperhaltung kann man sich ganz anders fühlen.

Häufen sich Angst, Überlastung, Ungewissheit und Schrecken, so können dauerhafte Muskelverspannungen entstehen. Nicht nur die quergestreifte Muskulatur (also die willentlich bewegliche Muskulatur, z.B. die Arm- und Beinmuskulatur) verkrampft sich, sondern auch die glatte Muskulatur (also die Muskulatur, auf die wir nur wenig Einfluss haben wie z.B. die Bronchialmuskulatur, die Gefäßmuskulatur, die Magen-Darm-Muskulatur). So kann zum Beispiel Bluthochdruck entstehen.

Das Zwerchfell ist ein sogenannter quergestreifter muskel – das heißt, wir haben willentlich einfluss darauf. gleichzeitig müssen wir nicht darüber nachdenken. im yoga gilt der atem als verbindung zwischen körper und geist.

Beruhigung entspannt die Muskulatur

Alles, was beruhigt, kann die Muskulatur entspannen – dazu gehören z.B. eine ruhige Stimme, Musik, Schaukeln oder warmherzige Blicke. Manchmal entspannen wir uns aber auch paradox, zum Beispiel, wenn wir sehen, dass ein anderer wütend ist, denn das ermöglicht uns die Entspannung von unserer eigenen Wut. Wir haben das Gefühl, auf gewisse Weise in unserer Wut verstanden zu werden.

Bei der inneren An- und Entspannung spielt der Nervus vagus (der 10. Hirnnerv) eine wichtige Rolle (Polyvagal-Theorie). Das zeigt sich unter anderem daran, dass viele Menschen auf starke psychische Reize mit Übelkeit und Erbrechen reagieren. Hingegen geht Weinen oft mit muskulärer Entspannung einher. Sehr unruhige Menschen verlieren oft ihren überstarken Bewegungsdrang, wenn sie weinen können.

Wenn die Muskeln ganz entspannt, ja gelähmt sind wie im Tiefschlaf, dann entstehen in uns die wildesten Träume.

Der Nervus vagus (La vague = französisch: die Welle)

Der vordere Anteil des Nervus vagus ist nach der Polyvagaltheorie an sozialen Interaktionen beteiligt. Er bestimmt mit, wie sehr wir uns schützen wollen und wir stark wir reagieren oder verkrampfen. Die Psychotherapeutin Vita Heinrich-Clauer hat in der Zeitschrift „Sprache, Stimme, Gehör“ (Thieme-Verlag, 2014) einen Beitrag zu diesen Zusammenhängen verfasst mit dem Titel: „Zur Wechselwirkung von emotionalen Schutzreaktionen und Muskeltonus“.

Auch in der Psychoanalyse im Liegen auf der Couch lässt sich beobachten, was die Muskulatur im Laufe der Stunde so macht: Immer wieder gibt es Phasen der Anspannung und der Entspannung. Darauf zu achten, kann sehr spannend sein. Der Körper erzählt oft mehr als Worte es tun.

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Link:

Heinrich-Clauer, Vita (2014):
Zur Wechselwirkung von emotionalen Schutzreaktionen und Muskeltonus
Interaction of Emotional Defense Mechanisms and Tonicity
Sprache Stimme Gehör 2014; 38(03): 114-119
DOI: 10.1055/s-0034-1387785
www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0034-1387785

Dieser Beitrag erschien erstmals am 3.10.2015
Aktualisiert am 13.2.2024

One thought on “Die Seele wohnt auch in den Muskeln

  1. Hallo Frau Voos,
    wieder ein schöner Artikel, der Lust auf mehr macht.
    Wenn ich diesen Artikel lesen fällt mir die Aussage: „Lachen ist die beste Medizin.“, wieder ein. Nach diesem Artikel kann ich mir gut vorstellen, dass daran noch mehr wahres ist, als ich bisher glaubte.
    „Everybody tells a story“, ist aus meiner Sicht, mit eine Grundlage in der Arbeit mit Menschen.
    Vielen dank für den kurzen Einblick und die Erinnerung.
    Liebe Grüße
    Peter Wiesejahn

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