Der psychische Schmerz der Wechseljahre: Mit dem Ende der Tage sind die Tage nicht zu Ende

Für Mädchen ist es ein besonderes Ereignis, wenn sie das erste Mal ihre Tage bekommen. Für viele Eltern ist es das Signal, mehr Abstand zu halten. „Meine Mutter hat mich oft geschlagen, aber das hat aufgehört, als ich meine Tage bekam“, erzählen manche Frauen. Die Periode empfanden sie wie einen Schutz. Das Ufer des Erwachsenseins ist erreicht. Die Periode bestimmt von nun an den Lebensrhythmus. Mit einem Mann zu schlafen bedeutet lange Zeit auch, dass daraus neues Leben entstehen könnte. Neigt sich die Periode dem Ende zu, empfinden viele Frauen das als Befreiung, aber mancher wird’s auch schwer ums Herz. Das war’s gewesen. Das erste spürbare Ende des Lebens naht – die Blätter an den Bäumen werden gelb.

Viele Frauen trauern darum, dass sie nie erleben durften, wie es ist, schwanger zu sein. Für einige Frauen ist das kein Problem, andere meinen fast, daran zu zerbrechen.

Die Körperlichkeit einer Schwangerschaft, die emotionale Nähe zu einem Kind, das im eigenen Körper heranreift, ist für viele Frauen mit das Wertvollste, das sie im Laufe ihres Lebens erfahren haben. Vielen bleibt diese Erfahrung verwehrt. Manche erleben einen ungeheuren Schmerz, wenn Schwangere um sie herum sind, während sie selbst kinderlos bleiben – sei es aufgrund körperlicher oder psychischer Einschränkungen.

Verbundenheit

Doch mit dem Ende der Tage sind die Tage nicht zu Ende. Ich las einmal den schönen Satz, dass alles prinzipiell noch da ist – dass der Körper jedoch nur zeigt, dass sich die Kraft für Schwangerschaft und Geburt dem Ende zugeneigt hat. Frauen, die keine Gebärmutter mehr haben, können phasenweise sehr darunter leiden, dass dieser Satz nicht mehr stimmt.

Was bleibt, ist die lebendige Sehnsucht nach Verbundenheit. Diesen Wunsch nach Verbundenheit können sich viele Frauen um die Wechseljahre besser erfüllen als in jüngeren Jahren.

Die Veränderungen des Körpers mit Neugier betrachten heißt, sich auch immer wieder überraschen zu lassen von dem, was plötzlich möglich wird, was nicht mehr möglich ist und was einfach so bleibt wie es immer war. Bleiben die Tage weg, fühlt man sich vielleicht auch wieder etwas unbeschwerter – ähnlich, wie man sich als junges Mädchen gefühlt hat.

Gerade nach dem Ende der regelmäßigen Blutungen ist es oft, als ob die „Regel“ noch eine Weile weiterginge, ohne dass man sie sieht. Viele bemerken, dass Phasen des Schwitzens, des Hungers, der Erschöpfung oder Kraft manchmal einem ähnlichen Zeitverlauf folgen wie damals der Monatszyklus. Es ist gut, sich dann – ähnlich wie früher – die Ruhe zu gönnen, die der Körper an gewissen Tagen braucht.

Fruchtbar und unfruchtbar

Der Wechsel von der fruchtbaren in die „unfruchtbare“ Zeit ist für viele eine traurige Zeit. Dieser Zeit der Trauer wird oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Da stehen die körperlichen Beschwerden, der Gang zum Frauenarzt und Hormonpräparate im Vordergrund. Doch was die Frauen auch brauchen, ist auch mehr Raum für die psychischen Veränderungen. Es entstehen neue Vorstellungen, häufig auch Vorstellungen von Begrenzung und Endlichkeit.

Es kehrt mehr Ruhe ein, wenn die Wahlmöglichkeiten schwinden.

Viele Frauen wollen diese Ruhe noch nicht. Sie fühlen sich noch viel zu jung für diesen Abschied. In dieser Zeit der Wechselhaftigkeit geht es emotional manchmal drunter und drüber. Festhalten oder Loslassen? Nochmal probieren oder es sein lassen? Schlaflose Nächte können die Wechseljahre prägen.

In einem Wechseljahrsforum von lifeline.de fand ich den Kommentar einer Leserin, der mir aus dem Herzen sprach: „Bei mir löst es (Anmerkung: die Appetitlosigkeit) große Angst aus, bin 52 Jahre alt und im Moment nicht Fisch, nicht Fleisch … Alles begleitet durch eine fiese Übelkeit. Organisch ist alles okay, dennoch kann ich mich nicht zurück lehnen. … Ich lebe im Moment mit einem ganz anderen Ich und möchte so gerne mein altes zurück.“ Finchen, 21.8.2022 auf https://fragen.lifeline.de/expertenrat/frage/Forum-Wechseljahre/Appetitlosigkeit?threadId=15076060

Das Älterwerden unmittelbar spüren

Durch die Veränderungen in den Wechseljahren spüren die Frauen das Älterwerden unmittelbar. Das Wegbleiben der Tage bedeutet nun nicht mehr „Schwangerschaft“, sondern „Beginn der unfruchtbaren Zeit“. Doch man kann bewusst im Leben weiterreisen: Was passiert jetzt? Wie verändert sich mein Körper und mein Leben? Wie gestaltet sich die Partnerschaft, die Partnersuche, die Sexualität in dieser neuen Zeit? Wie kann ich als erfahrene Frau jüngere Menschen begleiten und eine Art „geistige Elternschaft“ zu ihnen aufbauen? Viele finden mit der Zeit befriedigende Antworten darauf.

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Buchtipp: War das schon alles?

Marie-Luise Hermann ist promovierte Diplom-Psychologin, Psychoanalytikerin und Autorin. Sie arbeitete bis 2022 als Oberpsychologin in der Schweizer Privatklinik Clienia Littenheid. Geboren 1966, schreibt sie nun aus der Warte einer Frau, die sich selbst fast noch zu den Babyboomern (1955-1964 Geborene) zählen kann. Ich bestellte das Buch, nachdem ich in der Buchbeschreibung den Satz las, dass man die „Kraft verschütteter Wünsche freisetzen“ könne. Zusammen mit dem sehr ansprechenden Cover und dem Titel „War das schon alles?“ war meine Lust auf dieses Buch geweckt. Ich konnte mich in vielem wiederfinden. Der Vergleich mit anderen, das Gefühl, im Mittendrin zu sein und nun die Lebensjahre auch vom möglichen Ende her zu zählen, das „große Gähnen des Überdrusses“ (S. 35) und vieles andere sprach mich an.

Besonders die fast gnadenlose Authentizität in diesem Buch hat mich fasziniert. Marie-Luise Hermann betont, wie wichtig es ist, wirklich ehrlich zu sich zu sein und den inneren wie äußeren Wahrheiten nicht aus dem Weg zu gehen. Sie beschreibt, wie man offen werden kann für das eigene Unbewusste, wie man sich ihm hingeben, ja auch auf gewisse Weise vertrauensvoll überlassen kann.

Es geht um Orientierung, um Unbehagen und Aufbruch

Viele treffen in der Mitte des Lebens noch einmal ganz neue Entscheidungen und nicht immer ist klar, woher der eigene Wille kommt, der zu vielen Konflikten führen kann. Mir gefiel in diesem Zusammenhang der Satz:

„Irgendetwas in mir hat mir gesagt, dass ich das jetzt so machen muss. Ich konnte nicht anders, ich musste das einfach tun. Etwas ist mit mir passiert, und auf einmal war alles so klar. Es fühlte sich auf einmal so richtig und gut an.“ (S. 47)

Und nach meinem eigenen Umzug in eine andere Stadt fühlte ich mich durch diesen Satz verstanden: „Unter Druck bleibt oft keine Alternative, manche müssen entfernte Arbeitsorte in Kauf nehmen.“ (S. 53) Für mich wurden besonders die Abschnitte spannend, die auf den Körper weisen: „Im höheren Alter übernimmt der Körper mit Grenzen und Einschränkungen die weitere Entwicklung“, heißt es auf Seite 49. Dann jedoch geht die Autorin insgesamt wenig auf den Körper ein, was mich enttäuschte. Es löste in mir eine „Suchbewegung“ aus, die mich das Buch schnell lesen ließ, jedoch fand ich nicht so recht, was ich suchte.

Viel Psychoanalytisches – für Interessierte ein Gewinn

Ab etwa Seite 50 nimmt die psychoanalytische Fachterminologie einen breiten Raum ein, wie bereits die Überschrift „Inneres Drängen aus Sicht der Triebpsychologie“ zeigt. Auch behandelt die Autorin nun interne Diskurse der Psychoanalyse: „… und die Psychoanalyse ist dabei, ihre eigenen Ursprünge in der Freud’schen Triebtheorie zu verdrängen, zu verleugnen und sich damit selbst zu schwächen.“ (S. 54) Einige psychoanalytische Theorien sind verständlich und alltagsnah aufbereitet, jedoch frage ich mich, ob die Ausführungen für Leser und Leserinnen, die noch nie mit der Psychoanalyse in Berührung gekommen sind, nicht zu abgerückt klingen:

„Weil dieser glühende Liebeswunsch des Kindes mit einem Erwachsenen nicht möglich ist (Anmerkung: „nicht zu erfüllen ist“, müsste es nach meinem Verständnis heißen) und weil die genitale Ausstattung dafür noch mangelhaft ist, steigert sich die Enttäuschung in einen Wutanfall bis zum fantasierten gewaltsamen Entreißen des väterlichen Phallus, der ‚Kastration‘, und damit diese ungeheuerliche Raubtat nicht auffliegt, später in Mordphantasien.“ (S. 56)

Der rote Faden

Marie-Luise Hermann beschreibt beispielhaft die Probleme der fiktiven Personen Andrea, der Umtriebigen, Bruno, dem Nachdenklichen und Christina, der Vermittlerin. Sie stehen für die Krisentypen „Festsitzen, Sichdavonschleichen und Zusammenbrechen“. Die Autorin kommt in den verschiedenen Kapiteln auf diese drei Personen und Problematiken zurück, wodurch sich ein roter Faden im Buch ergibt. Die Kämpfe, die viele in den Wechseljahren durchleben, werden aus meiner Sicht jedoch oft nicht spürbar – die Probleme der Protagonisten erscheinen mir stereotyp: die alleinerziehende Mutter, die „alles gemanagt“ hat (S. 38), der nachdenkliche Bruno, der „umfassend frustriert“ ist (S. 39) und Christina, die „immer für alle da“ war (S. 41) erscheinen mir wie aus der Theorie heraus konstruiert. Es ist, als stammten sie aus einer besser gestellten sozialen Schicht, die hier exklusiv in den Blick genommen wird.

Dieser Eindruck entsteht bei mir, wenn ich beispielsweise an konkrete Erfahrungen mit Frauen denke, die in ihren finanziellen Problemen, Kontaktabbrüchen oder Krebserkrankungen nicht ein noch aus wissen. Vielleicht erschienen mir auch deshalb ab der Mitte des Buches viele Passagen beim Lesen sehr anstrengend. Die möglichen Lebenskonflikte werden ausführlich ausgearbeitet, jedoch fühlte ich mich bisweilen wie in einem dichten theoretischen Gedankenwald ohne Lichtung oder Bänke zum Ausruhen.

Viele Leser*innen werden sich in den Ausführungen wiederfinden und auch Neues entdecken. Auch bei mir bewirkten viele Gedanken der Autorin einen „Aha-Effekt“. Insgesamt finde ich das Buch sehr anregend und auch verstehend. Wer jedoch Trost sucht und sich auch für körperliche Problematiken interessiert, die die Seele in Mitleidenschaft ziehen, sollte auch andere Bücher zu diesem Thema lesen.

Buch:

Marie-Luise Hermann:
War das schon alles? Babyboomer jenseits der Lebensmitte
Mit einem Geleitwort von Brigitte Boothe
Psychosozial-Verlag, Gießen, 2023

Dieser Beitrag erschien erstmals am 10.2.2015
Aktualisiert am 10.10.2023

One thought on “Der psychische Schmerz der Wechseljahre: Mit dem Ende der Tage sind die Tage nicht zu Ende

  1. Vielen Dank für den ergreifenden und informativen Artikel. Man kann nur hoffen, dass der Frauenarzt in solchen Seite auch psychologisch etwas zur Seite steht. Schliesslich ist der Gynäkologe stetig in Kontakt mit Frauen in diesem Alter und kann entsprechend daraus Schlussfolgerungen ziehen die nachfolgenden Generationen helfen könnten damit umzugehen. Es wäre daher wünschenswert wenn Ärzte diese Unterstützer-rolle annehmen.

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