Angst vor dem Autofahren

Kaum näherst Du Dich der Autobahn, geht Dein Puls hoch. Vielleicht überlegst Du, ob Du gar nicht erst auffährst. Doch damit engst Du Dich ein. Vermeiden hilft nur im Moment – auf Dauer wächst der Ärger darüber, dass Du Dich nicht auf die Autobahn traust. Vielleicht magst Du auch gar nicht mehr Auto fahren – Dein Kreis wird kleiner. Wenn auch das Üben nur begrenzt hilft, kannst Du Dich fragen: Wie kann ich meine Angst verstehen? Ängste haben immer ihren Sinn. Sie hängen zusammen mit mehr oder weniger bewussten Sorgen, Ängsten, Wünschen, Gedanken, Gefühlen und Phantasien. Ängste treten oft dann auf, wenn bestimmte Situationen ein Symbol für diese unbewussten Gedanken sind.

Hier ein paar Beispiele: Sina hat auf der Autobahn dann besonders Angst, wenn aufgrund einer Baustelle der rechte Fahrstreifen gesperrt ist. Das Gefühl, immer weiterfahren zu müssen und nicht stoppen zu können, macht sie völlig fertig. „Es gibt keinen Halt und keinen Ausweg mehr“, denkt sie.

Das spiegelt ihre gesamte aktuelle Lebenssituation wider. Sina fühlt sich eingeengt, streitet mit ihren Eltern, weiß nicht, ob sie ihre Ausbildung schaffen wird. Alles ist ungewiss. Sie fühlt sich gezwungen, ihren Weg weiterzugehen, ohne einen Ausweg zu sehen. Was Sina fehlt, sind Oasen im Alltag ebenso wie ein innerer Raum, in dem sie sich frei fühlt. Die äußeren Anforderungen sind so hoch und eng, dass ihr der Alltag schwer fällt. Wenn Sina auf der Autobahn fährt und keine Möglichkeit mehr sieht, anzuhalten, ist diese Situation genau das Bild, das sie von ihrem jetzigen Leben hat. Sie kann nicht ausweichen. Das macht ihr Angst.

Im Tunnel bricht der Schweiß aus

Miriam ist in ihrer Beziehung schon lange unglücklich, aber sie macht sich vor, dass es doch alles noch irgendwie gut ist. Sie wurde immer zum Liebsein erzogen und kann kaum einmal ihren Ärger ausdrücken. In ihr tobt eine ungeheure Wut gegen ihren Freund. Doch diese Wut kann sie kaum wahrnehmen.

Wenn sie jedoch Auto fährt, steigt eine undefinierbare Angst in ihr auf – sie könnte einfach mal im Tunnel gegen die Wand fahren.

Miriam kann diese Angst zunächst nicht in Verbindung mit ihrer aufgestauten Wut bringen und doch ist sie da: In einer Psychotherapie lernt sie, ihren unterdrückten Ärger wohldosiert zuzulassen. Bald schon lindern sich die Ängste und Miriam befürchtet nicht mehr, dass sie ungewollt gegen eine Wand fahren könnte.

Schweben auf der Brücke

„Ich habe keine Angst, dass die Brücke einkracht. Aber ich fühle mich einfach unglaublich haltlos, wenn ich auf so einer Brücke bin. Ich habe dann immer Angst, ich könnte durchdrehen und verrückt werden“, erzählt Nathalie.

Nathalie hat gerade viele Schwellen in ihrem Leben zu überwinden. Die Ausbildung steht an, der Auszug von zu Hause, die Trennung von vielen Freunden. Das Alte muss sie verlassen, aber das Neue ist noch nicht greifbar. Sie hat wortwörtlich keinen Halt, keine Hand, an der sie sich festhalten könnte. Manchmal fürchtet sie sich vor ihren eigenen Plänen: Sie will Architektin werden und weiß nicht, ob sie das schafft. Nie zuvor hatte in der Familie jemand studiert. Die Brücke ist unbewusst ein Sinnbild für sie, zu neuen Ufern aufzubrechen und dabei ganz alleine zu sein.

Nathalie aber findet eine „Technik“, mit der sie es doch schafft, über Brücken zu fahren: Sie denkt an einen Lehrer, dem sie sehr vertraut und stellt sich vor, seine Hand zu fassen, während sie über die Brücke fährt. Als sie wenige Jahre später privat und beruflich auf „sicheren Beinen steht“, kann sie gar nicht mehr nachvollziehen, dass sie einmal Angst vor Brücken hatte.

Vielleicht hast Du auch Angst vor dem Autofahren – vor Brücken, Tunneln und Autobahnen. Es ist dann oft schwer, die Angst in Worte zu fassen. Du weißt, das „eigentlich“ ja gar nichts passieren kann – abgesehen davon, dass der Tunnel zusammenbrechen oder die Brücke einstürzen könnte. Doch die Körpererfahrungen, die Du machst, erinnern Dich vielleicht an frühere unangenehme Situationen. Der Tunnel ist auch ein Symbol für Geburt und Sterben. Und auf der Brücke bekommst Du vielleicht ein schwebendes Gefühl, das Dich an ein Fallen erinnert. Achte einmal darauf, was Dein Körper in der Angst so macht und versuche dann, Deinem Körper Halt zu geben, z.B. mit der Ujjayi-Atmung, die Du vorher geübt haben solltest, denn Atemübungen beim Autofahren solltest Du nur einsetzen, wenn Du weißt, dass Dir davon nicht schwindelig wird.

Ältere Menschen haben manchmal Angst vor dem Autofahren, weil sie spüren, wie ihr Körper sie manchmal im Stich lässt. Dann handelt es sich nicht um eine Angststörung im klassischen Sinne, sondern um ein gutes Gespür für den Körper, der manchmal Schwäche anzeigt – hier kann der Verzicht aufs Autofahren sehr sinnvoll sein.

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Dieser Beitrag erschien erstmals am 24.2.2014
Aktualisiert am 18.9.2023

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