Vojta-Therapie: Die Psycho-Studie. Nur bestimmte Eltern führen die Vojta-Therapie durch

Immer wieder haben mich Befürworter der Vojta-Krankengymnastik (siehe Stellungnahme der Internationalen Vojta-Gesellschaft) auf eine Studie von Maren Thiesen-Hutter (1982) aufmerksam gemacht. Die Psychologin hat Ende der 1970er Jahre eine Studie zu den psychologischen Auswirkungen der Vojta-Therapie bei Babys durchgeführt. Maren Thiesen-Hutter hatte zunächst angenommen, die Vojta-Krankengymnastik bei Babys würde psychische Schäden hinterlassen. Doch in ihrer Studie sei sie zu ihrer eigenen Überraschung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vojta-Therapie bei Babys aus psychologischer Sicht nicht schade. Nun habe ich mir die Studie selbst angesehen – sie ist 1982 im Enke-Verlag erschienen. Das Buch heißt „Psychologie und Neurophysiotherapie Vojtas“.

Maren Thiesen Hutter untersuchte 88 Kinder, die als Säuglinge mit der Vojta-Therapie behandelt worden waren, vier bis fünf Jahre nach Abschluss der Behandlung. Verglichen wurden die frühbehandelten Vojta-Kinder mit 88 unbehandelten, bisher unauffälligen Kindergartenkindern (S. 71). Die behandelten Kinder wurden ab einem Alter von durchschnittlich 3,5 Monaten behandelt. Die Behandlung dauerte durchschnittlich 7 Monate.

Mithilfe von Fragebögen ermittelte die Psychologin, ob die mit Vojta-behandelten Kinder im Kindergartenalter neurotischer oder ängstlicher waren als die nicht-behandelten Kinder. Dabei wurden auch Merkmale der Eltern dokumentiert.

Es fiel auf: Nur die Eltern der Vojta-behandelten Kinder hatten eine „autoritäre Erziehungshaltung mit gleichgültigen Tendenzen“. Die Eltern der unbehandelten Kinder hatten hingegen deutlich häufiger einen „demokratischen Erziehungsstil mit autoritäten Tendenzen“ und mit „überbehütenden Tendenzen“ als die Eltern der behandelten Kinder (S. 147).

Ängstlichkeit

Maren Thiesen-Hutter schreibt: „Im Bereich Ängstlichkeit und Kontaktscheu sind keinerlei Mittelwertsunterschiede zu finden.“ Die Kinder, die als Säuglinge mittels Vojta-Therapie behandelt wurden, waren im Kindergartenalter also nicht ängstlicher als die unbehandelten Vergleichskinder. Die Autorin fasst zusammen, dass es „keine gesicherten Unterschiede im Verhalten zwischen frühbehandelten Risikokindern und einer unbehandelten Parallelgruppe von sogenannten normalen Kindern gibt“ (S. 176).

Auffallend war, dass die Vojta-Behandlung anscheinend die Sprachentwicklung stark förderte (S. 179).

Ist das Kindergartenalter aussagekräftig?

Ich frage mich allerdings, ob eine solche Untersuchung im Kindergartenalter ausreicht. Viele Kinder entwickeln erst in der Pubertät psychische Schwierigkeiten. Schizophrenien bilden sich zum Beispiel meistens erst im späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter aus. Ebenso prägen sich Angststörungen häufig erst zu Beginn der Ausbildung oder des Studiums schwer aus. Viele Fragen bleiben unbeantwortet:

Wie sieht es mit der Beziehungsfähigkeit der behandelten Kinder aus? Wie sieht es mit der Rate psychischer Erkrankungen im Erwachsenenalter aus? Wie reagieren die Vojta-behandelten Kinder später im Leben auf gesellschaftlichen/beruflichen oder medizinischen „Zwang“? Welche Einstellung haben sie später zu ihrem Körper? Lehnen sich die Jugendlichen selbst ab oder können sie ihren Körper annehmen?

Es gab auch damals Vojta-kritische Autoren

Maren Thiesen-Hutter erwähnt einen Autor, der sich 1980 kritisch gegenüber der Vojta-Therapie bei Babys geäußert hat. Dieser Autor namens Weber schreibt (zitiert auf S. 230):

„Bei dieser Gymnastik hingegen wird die symbiotische Harmonie gesprengt, indem die Mutter (oder auch der Vater manchmal gleichzeitig) zum Aggressor werden müssen. Die möglichen emotionalen Folgeschäden sind offen.“ (Weber, 1980)

Maren Thiesen-Hutters eigene Einstellung zur Vojta-Therapie wird auf Seite 230 deutlich: „Die Anpassung des Kindes an die Umwelt umfaßt eine Reihe von Frustrationserlebnissen. Ob Temperaturunterschiede oder Blähungen beim Säugling, eine vor den Augen sich schließende Tür oder Verbote beim Kleinkind mehr oder weniger große Belastungen darstellen im Vergleich zum Fixieren in einer Körperhaltung und der provozierten körperlichen Anstrengung in der kinesiologischen Therapie VOJTAs, kann niemand ohne empirische Untersuchung zuverlässig wissen. Unwissenschaftliche Beiträge dieser Art heizen nur die emotionale Diskussion um das Für und Wider der Neurophysiotherapie VOJTAs auf.“ (Thiesen-Hutter, 1982). „In der vorliegenden Untersuchung fand jedenfalls keine von WEBERs düsteren Prognosen eine Bestätigung.“

Diese Stelle finde ich besonders traurig, denn wer einmal gehört hat, wie sehr Babys bei der Vojta-Therapie schreien, der hat doch direkt die „Evidenz“, dass man die Behandlung sofort stoppen muss. Es erinnert mich daran, dass man Babys bis in die 70iger Jahre ohne Narkose operierte, weil man glaubte, sie empfänden keinen Schmerz (siehe: „Das Bild vom Säugling“, Quarks&Co. 2011). Mir kommt es vor, als könnte man mit dieser Argumentation Babys auch auf andere Weise foltern (um jetzt mal richtig emotional zu werden) – erst müssten also empirische Studien her, die beweisen, dass die „Behandlung“ schaden könnte.

Mentalisierung

Heute weiß man: Menschen mit psychischen Störungen wie z.B. der Borderline-Störung, mangelt es an der Fähigkeit, zu mentalisieren. Das heißt, dass es den Betroffenen schwer fällt, über sich selbst, über andere und über ihr Beziehungserleben nachzudenken (siehe Studien und Bücher des britischen Psychoanalytikers Peter Fonagy). Egal, welche Psychotherapieform man sich anschaut: Psychotherapeuten bemühen sich darum, die Mentalisierungsfähigkeit ihrer Patienten zu verbessern. Und an genau dieser Mentalisierungsfähigkeit scheint es den Eltern, die in dieser Studie untersucht wurden, zu mangeln.

Maren Thiesen-Hutter schreibt (S. 233 ff.): „Das heißt, eine Grundhaltung in Form von geringer Lenkung, Billigung spontaner Aktivität und eigener Entscheidung des Kindes, Eingestehen eigener Schwächen und Fehler, Eingehen auf kindliche Bedürfnisse usw. scheint bei den Eltern, die ihre Kinder nach der Methode VOJTAs behandelt haben, weitaus weniger aufzufinden zu sein … Das heißt, eine mehr Eltern-zentrierte Erziehung mit geringerer Berücksichtigung kindlicher Gefühle, Motive und Bedürfnisse ist bei den Eltern, die ihre Kinder krankengymnastisch nach VOJTA behandelt haben, zu beobachten. … Anpassung an die Gemeinschaft und Gehorsam gegenüber den Erwachsenen, das heißt eine kontrollierende Erziehungshaltung, wurde signifikant häufiger in der Versuchsgruppe (Anm.: also bei den Eltern, die ihre Kinder nach Vojta behandelten) verzeichnet. … Man könnte vermuten, dass nur bestimmte Eltern in der Lage sind, mit ihren Kinder nach der VOJTA-Methode zu turnen (S. 234). …
Es könnte sein, dass solche Eltern nicht zur Durchführung der Neurophysiotherapie fähig sind, die auf jede Regung des Kindes eingehen, sich ständig über Bedürfnisse, Motive und Gefühle Gedanken machen (Anm. von mir: genau das ist Mentalisierung) und ihre eigene Person weit in den Hintergrund stellen. Für diese Eltern wird das kindliche Schreien während der Therapie unerträglich.“

Möglicherweise sind die zur Vojta-Therapie „unfähigen“ Eltern, diejenigen, die auch den Mut haben, sich gegenüber Autoritäten wie Ärzten und Therapeuten durchzusetzen. Sie setzen sich nicht gegenüber ihrem Kind durch, um es drastisch zu sagen, sondern gegenüber denen, die meinen, zu wissen, was ihrem Baby gut tut.

Die Eltern, die nicht nach Vojta behandeln, sind in Kontakt mit ihrem Kind und haben das gesunde Gefühl, dass ihr Kind unglaublich leidet und sie haben den Mut, darauf zu reagieren.

Aber: Auch die Eltern, die ihre Kinder nach Vojta behandeln, meinen es ja bewusst gut. Sie wollen helfen und sie sind verzweifelt. Sehr viele Eltern kämpfen mit ungeheuren Scham- und Schuldgefühlen. Viele Eltern, die trotz des Schreiens weiterbehandeln, sind zutiefst verunsichert und selbst hilflos. Ihnen kann man keinen Vorwurf machen. Doch es ist wichtig, dass wir hinschauen: Was passiert da in unserem Land? Wieviele Babys werden täglich nach Vojta behandelt und warum nehmen nur so wenige ihr Schreien ernst? Wer einmal genau bei solch einer Behandlung zuhört, der möchte die Tür zum Therapieraum öffnen und sagen: „Schluss jetzt!“

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Buchtipp:

Dunja Voos:
Vojta-Therapie bei Babys – ein Aufschrei
Hilfe bei einem speziellen Trauma

Selbstveröffentlichung, 9.2.2021, amazon

Maren Thiesen-Hutter:
Psychologie und Neurophysiotherapie Vojtas
Ein Gruppenvergleich zwischen frühbehandelten und bisher unauffälligen Vorschulkindern.
Ferdinand Enke Verlag Stuttgart 1982

Weber S. (1980):
Psychodynamische Aspekte der Mutter-Kind-Beziehung bei der krankengymnastischen Frühtherapie zur Prophylaxe infantiler Zerebralparesen.
Klinische Pädiatrie 1981 (F. Enke-Verlag, Stuttgart); 193(6): 457-460
DOI: 10.1055/s-2008-1034523
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2008-1034523

Dieser Beitrag erschien erstmals am 11.2.2013
Aktualisiert am 5.1.2024

5 thoughts on “Vojta-Therapie: Die Psycho-Studie. Nur bestimmte Eltern führen die Vojta-Therapie durch

  1. Die Vojta Methode verletzt nicht nur die Seele, sondern im gleichen Maß auch den Körper, ganz konkret.
    In der Neurologie ist schon seit vielen Jahrzehnten bewiesen (ohne dass die verantwortlichen Ärzte einen Gedanken machen werden), dass Angst und Panik besonders einem Säugling oder Kleinkind systematisch über eine längere Zeit zugefügt zum Absterben von sehr wichtigen, vitalen Nervenzellen im Gehirn führt. Das ist z.B. der Fall von Spiegelneuronen, ich nenne die „die sozialen“ Neuronen, die einen befähigt, sich in die Absichten und in die Handlungen einer anderen Person hineinzufühlen und diese anpassend zu schätzen. Und nicht nur das, bei Angst wird das Gehirn sehr viel von seiner Kontrolle über den Körper verlieren, der Körper und auch der Psyche wird undifferenzierter handeln und reagieren, als wenn man ohne Stress, sozusagen lässig und ohne Fixierungen handeln, frei sein darf.

    Zum reinen physischen Aspekt der Vojta Therapie:

    In seinem Buch „Die zerebralen Bewegungsstörungen im Säuglingsalter“, Seite 256, schreibt Vojta folgenden Unsinn, darauf seine ganze Foltermethode basiert:

    „Die provozierte Bewegung kann gegen Widerstand stattfinden. Ihre Intensität wird durch den Widerstand sogar noch gesteigert. Wird der Widerstand so groß gesetzt, dass Keine Winkelveränderung stattfinden kann, dann wird die ganze motorische Aktivierung in eine isometrische Kontraktion Umgesetzt. Es kommt dadurch zu keiner Hemmung der Aktivierung. Dies ist verständlich, weil es sich um globale, reziproke Muster Handelt. Solange man in der Ausgangsstellung verharrt, ist die Endstellung immer ins Auge! gefasst.“

    Eine nähere und sehr elementare, wissenschaftlich fundierte Untersuchung nur vom Inhalt dieses kurzen Abschnittes aus diesem Buch von Herrn Dr. Váklav Vojta bringt zum Licht den ganzen Unsinn, womit Vojta und seine Anhänger ihre Verfahren begründen wollen.

    1. „Die provozierte Bewegung kann gegen Widerstand stattfinden.“
    Kommentar
    Abgesehen davon, dass kein gesunder Säugling und kein gesundes Kleinkind ihre funktionale Bewegungsvielfalt nach irgendwelchen provozierenden und zwingenden Reizen, sondern ausschließlich nach ihrem inneren Drang und ihrer sensorischen Neugier entwickeln, jede physiologisch richtig ausgeführte Bewegung enthält KEINE Druckkomponente, sondern der Körper verhält sich so, als ob das Kind sich WIDERSTANDSLOS in die Richtung seiner BEABSICHTIGTEN Bewegung aus dem vordersten Teil seines Körpers ziehen ließe. Die räumliche Einordnung der Körperglieder bei einer solchen Bewegungsart ist gerade das Gegenteil von der räumlichen Einordnung, wenn man sich gegen Druck bewegen muss, wobei die Anspannung der Muskulatur die geringste ist.

    2. „Ihre Intensität wird durch den Widerstand sogar noch gesteigert.“
    Kommentar
    Eine gesund entstandene Bewegung braucht und hat keine „Intensität“ und umso weniger wird diese Bewegung weder durch irgendeinen äußeren Widerstand provoziert noch gesteigert. Sie entsteht im Idealfall unter minimaler Anspannung der Muskulatur dank einer maximalen Anspannung des Nervensystems und des Körpers im Schwerkraftfeld, d.h. mit geringster Mühe, als ob das Skelett sich von allein bewegen würde. So wie die Arbeit eines gesunden Herzen nie gespürt wird, so wird auch die Tätigkeit der Muskulatur wird im Idealfall nie als schwere Arbeit empfunden.

    Außerdem gibt es nirgendwo in unsrem Körper ein sogenanntes „Reflexkriechen“, weil Kriechen eine Funktion ist, die Zeit braucht, bis sie reif wird. Hier einige Zitaten von Feldenkrais zum Thema Reflex versus Lernen und funktionale Entwicklung:

    „Ein Reflex ist ein biologisches Erbe, das in der Regel bei einer ganzen Gruppe von Tierarten anzutreffen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Individuum irgendwelche Vorerfahrungen hat, denn der erste Reiz löst die gleiche Reaktion wie der zweite. Jeder läuft nach bestimmten Gesetzen ab, beispielsweise nach dem Gesetz über die Ermüdung der Nervenzelle. Die entsprechende Reaktion wird jedes Mal ausgelöst, wenn der Reiz auftritt.
    Ein solches Erbe ist genetisch, d. h. es wird über die Gene der jeweiligen Art an jedes Individuum weitergegeben.“

    (Moshe Feldenkrais, Der Weg zum Reifen Selbst, Seite 24)

    Body Image — a Lecture by Moshe Feldenkrais
    „I want to clarify something important so you will understand what you are doing. Then you may understand why you sometimes do peculiar movements such as those you did in your last lesson. You will do some peculiar movements in this lesson also. This clarification may help you understand why and when you understand everything has a different taste and smell. There is a concept in the fields of psychology and neurology of body image. There also is a concept of body image in anatomy, or to be more accurate, in physiology. There is a functional body image in action. There is also the body image that you see. There are four bodies or four notions of body image…“

    Wenn man Feldenkrais‘ Vortrag liest, begreift jeder, der begreifen mag, wieviele Aspekte in der funktionalen Entwicklung bei Vojta schlicht ignoriert werden. Womit hat eigentlich Vojta so einen großen Ruhm verdient? Ich denke, dass die Ignoranz unter den Menschen noch heute derart verbreitet ist, dass man nicht mal den Mut hat, zu fühlen und zu denken, vor dem psychischen Terror, den die Ärzte und Therapeuten den Eltern behinderter Kindern machen, um ihre Kinder in deren Händen zu liefern.

    „Sie sehen, wie viel Zeit ich mir in der vorbereitenden Phase meiner Arbeit mit einem solchen (behinderten) Kind nehme, um dem Kind das Gefühl zu vermitteln, dass es als eigenständiges Wesen empfunden wird und nicht als eine Nummer im Krankenhaus. Für mich ist dieser der wichtigste Teil meiner Sitzung.
    Zum ersten Mal ist dieses Kind ein Mensch mit Recht auf eigenen Anspruch . . . und all meine Sorge beim Umgehen mit einem Kind, das nicht antworten kann, das nicht weinen oder schreien kann und diese Behandlung in einer fremden Umgebung über sich ergehen lassen muss, ist, ihm auch nicht den geringsten Schmerz zuzufügen, nicht einmal den Schatten eines Schmerzes, und wie sie sehen werden, wie feinfühlig mit ihm umgegangen wird. . . Aber das ist etwas, das ein dem Leben ganz eigenes Element enthält. . . Ein Austausch zwischen zwei Nervensystemen und dies mittels einer sensorischen Verbindung.“

    https://www.youtube.com/watch?v=t-Upbxqplh8 (ab 20:40)

    „Betrachtet man irgendeinen Instinkt, so wird man eine bemerkenswerte Entdeckung machen: dass unter allen Instinkten nur einer Bewegung hemmt, nämlich die Furcht. Wenn ein Tier erschrickt, erstarrt es, oder es rennt davon. In einem oder im anderen Fall hält es zunächst kurz inne. Dieses Verhalten wird erzeugt von der ersten Reaktion auf den Reiz, der die Furcht ausgelöst hat: einer heftigen Kontraktion sämtlicher Beuger, vor allem im Unterleib, und einem Anhalten des Atems, worauf bald eine ganze Reihe vasomotorischer Störungen folgt, z.B. beschleunigter Puls, Schwitzen, auch Harn lassen und sogar Stuhlleerung.,.“

    (Moshe Feldenkrais, Die Entdeckung des Selbstverständlichen, Suhrkamp 1440, Seiten 92-93)

    Aus diesem Zitat kann man ersehen, wie weit ein „Verbalisieren“ von Verhaltensphänomenen und der Umgang mit selbstgebastelten Fachbegriffen zu Missinterpretationen führen und Missinterpretationen zulassen, so dass das hier dargestellte Körperschema der Angst in einer Methode wie die von Vojta als „Kriech-Reflex“ umbenannt werden kann.

    „Für den Menschen ist Lernen, vor allem organisches Lernen, eine biologische, um nicht zu sagen: eine physio-logische Notwendigkeit. Wir lernen gehen, sprechen, auf Stühlen oder im Schneidersitz oder wie die Japaner sitzen; wir lernen lesen, schreiben, malen, zeichnen, Instrumente spielen, pfeifen. Wir haben so gut wie keine Instinkte fürs Essen und Trinken, und unser Leben wird mindestens ebenso sehr von unserer kulturellen Umwelt bestimmt wie durch unsere biologischen Voraussetzungen … Es wird gelenkt einzig von dem Gefühl der Befriedigung, das sich einstellt, wenn jeder neue Versuch als weniger ungeschickt empfunden wird als der vorangegangene, weil jetzt ein kleiner Fehler vermieden wurde, der zuvor als unangenehm oder als hinderlich empfunden worden war…“
    (Feldenkrais – „Die Entdeckung des Selbstverständlichen“, Suhrkamp)

    Das sind nur einige von viel zu vielen Gründen, die eigentlich ein Buch verdienen, um alle Ärzte und alle Therapeuten, inklusive diejenige Eltern, die Vojta-Methode praktizieren und befürworten, unter schwerster Strafe wegen direkter oder indirekter Kindermissandlung und Mitwirkung zur Nötigung behinderten Säuglingen und Kleinkindern hinter den Gittern für viele Jahre eingesperrt zu werden und deren Zulassung als Ärzte oder Therapeuten für ein lebenlang entnommen werden.

    Liebe Frau Dr. Voos, Ihre Beiträge schreien nach Gerechtigkeit, die leider heute, in Europa immer noch wie im tiefsten Mittelalter so barbarisch missachtet wird, gerade dort, wo dringendst notwendig wird. Dieser ganze Betrieb mit institutionalisierter Misshandlung von behinderten Säuglingen und Kleinkindern kommt mir wie ein globaler Schlachthof vor. Warum über die Feldenkrais Methode, die so wirkungsvoll und sanft, wissenschaftlich und menschlich gleichermassen den behinderten Kindern helfen kann, in den meisten Fällen, Ihre Behinderung zu vergessen, kein Wort erwähnt wird. ist mir einer der größte Rätzel. Wie viele hunderte und tausende von behinderten Säuglingen wäre geholfen gewesen, sich gesund entwickeln zu können, wenn die Feldenkrais Methode ihren verdienten Platz in der Medizin bekommen würde und in gleicher Maße auch von Eltern behinderter Säuglingen und Kleinkinder wahrgenommen wäre?
    Zwei Beispiele:

    https://www.youtube.com/watch?v=Ko_38fm7Hk0&index=31&list=UUPAEpA5S_2bQCJUIIQS5eUg
    https://www.youtube.com/watch?v=KWqekoT_GVg&list=UUPAEpA5S_2bQCJUIIQS5eUg&index=17
    https://www.youtube.com/watch?v=fetVpbpyt8E&index=15&list=UUPAEpA5S_2bQCJUIIQS5eUg

    Paul Doron Doroftei

  2. Dr. W. sagt:

    Liebe Frau Voos,

    ich danke Ihnen für Ihre engagierte Website und v. a. Ihre Beiträge über die Vojta-Therapie.
    Ich bin selbst Analytikerin und Eltern-Säuglings-Therapeutin, arbeite also häufig mit (werdenden) Müttern/Eltern, zusammen mit ihren Babies. Ausserdem arbeite ich viel im Bereich der Traumatherapie.

    Ich habe noch nicht viel Erfahrung mit Vojta-Therapie, aber 2 erwachsene Patientinnen in Behandlung (gehabt), deren Mütter Vojta-Therapeutinnen sind, und die beide eine ähnliche Psychodynamik und Einschränkungen in ihrem Leben aufweisen.

    Im Zuge dieser Behandlungen habe ich begonnen, mich mehr mit der Vojta-Therapie auseinander zu setzen, und bin dabei auf Ihre Website gestoßen. Mein Wissen berief sich bislang auf Hören-Sagen, und nun fühle ich mich wesentlich besser informiert.

    Und als Eltern-Säuglings-Therapeutin muß ich sagen, dass der Film, den Sie zur Verfügung stellen, ausreicht, damit einen – um es einmal drastisch auszudrücken – das „blanke Entsetzen“ packt. Es ist nicht auszuhalten, unglaublich quälend und traumatisierend, was da mit Babies geschieht!
    Das Entsetzen kann meines Erachtens gar nicht groß genug sein. Natürlich werden diese Babies Folgeschäden davon tragen – wie ich an meinen beiden Patientinnen eindrucksvoll sehen kann.

    Meiner Einschätzung nach ist es darüber hinaus wichtig, diese Therapieform eingebettet zu sehen in einen generellen Interaktionsstil zwischen Mutter/Eltern und Kind. Diese Quälerei am eigenen Kind kann nur durchhalten, wer in irgendeiner Form selbst traumatisiert ist und den Schmerz dissoziiert oder auf andere Weise seine eigenen Affekte abwehrt – und dies dann in die nächste Generation weiter trägt. So kann ich mir auch erklären, dass es diese Therapieform immer noch gibt. Eine legale Möglichkeit, eigene Täterintrojekte auszuleben beispielsweise.

    Aber ich will jetzt nicht zu fachlich werden, sondern möchte Ihnen einfach gern anbieten, Sie auf Ihrem „Feldzug“ gegen die Vojta-Therapie zu unterstützen.

    Und allen Müttern/Eltern, die dies lesen, kann ich ebenfalls nur Mut machen, auf das eigene Gefühl, die eigene Intuition zu hören. Babies kann man (zumindest im ersten halben Jahr) nicht verwöhnen (was ja auch immer wieder gern behauptet wird, wenn es um Feinfühligkeit geht), und es gibt keinen, wirklich keinen Grund, sie zu quälen!

    Herzliche Grüße

  3. Roland sagt:

    Hallo Frau Voos,

    seit einiger Zeit verfolge ich schon Ihren Kampf gegen Vojta. Mir war bereits vor der Geburt meiner kleinen Tochter klar, dass ich ihr so etwas nicht antun werde. Bisher entwickelt sie sich „normal“, so dass so etwas in den bisherigen Untersuchungen nie ein Thema war. Aber da liegt auch schon das Problem, wie von Maja auch beschrieben wurde. Man hat als Eltern wirklich diesen Druck, dass das Kind zu dem und dem Zeitpunkt das und das können soll/muss. Wenn das Kind das dann aber noch nicht kann, ist direkt was nicht in Ordnung und man rennt von Arzt zu Arzt von Osteopath zu Osteopath und so weiter. Auch ich habe anfangs in diesen Entwicklungsbüchern gelesen. Allerdings habe ich dann relativ schnell frustriert aufgegeben, weil meine Tochter nicht so „gesprungen“ ist wie im Buch. Es ist viel entspannter einfach so mitzubekommen, was das Kind Neues lernt. Und das ist eine ganze Menge und geht teilweise rasend schnell. Jedes Kind entwickelt sich anders. Ich finde es furchtbar, wenn so verglichen wird. Muss es mit vier Monaten durchschlafen? Wenn das Kind erst mit 20 Monaten anfängt zu Laufen, dann tut es das eben erst mit 20 Monaten und nicht mit 11. Wo ist denn da das Problem? Oder wenn ein Kind „Luftablon“ statt „Luftballon“ sagt, muss es dann sofort zum Logopäden? Kann ein Kind nicht einfach auch mal Kind sein und spielend lernen und toben? Den Leistungsdruck unserer Gesellschaft wird es schon noch früh genug mitbekommen. Ich finde ein Kind groß zu ziehen schon anstrengend genug, da habe ich keine große Lust mich auch noch mit anderen darin zu messen. Wir liebe unsere Tochter so wie sie ist, mit allem was dazu gehört. Es ist mir egal, dass ich morgen früh vermutlich wieder um kurz vor 5 aufstehe. So ist es eben. In diesem Sinne, gute Nacht….

  4. Maja sagt:

    Liebe Frau Dr. Voos,
    nach einer Sitzung Vojta habe ich die Therapie gottseidank umgehend beendet- und bin immer noch ganz fassungslos über die Brutalität und Respektlosigkeit, die man meiner 9 Wochen alten Tochter (hypoton da PWS) entgegen gebracht hat.
    Unterstützung für diesen Schritt habe ich duch ihre Webseite gefunden, die mich darin bestärkt hat. EInen Aspekt jedoch könnte man vielleicht noch anführen, der hier noch nicht zur Sprache kam und sich mit der Antwort auf die Fragen beschäftigt: Warum tun Eltern ihren Kindern so etwas an? Wie kann es sein, dass man Kinderseelen bricht, in einem Zeitalter , in dem die schwarze Pädagogik doch als längst überholt und abzulehnen gilt?

    Klar, „FÜR das Kind“ ist die offensichtliche Antwort der Eltern, die gebetsmühlenartig wiederholt wird.

    Mir persönlich ist jedoch in nicht wenigen Gesprächen mit Müttern entwicklungsverzögerter bzw. behinderter Vojta-Kinder der letzten Wochen aufgefallen, dass es meist gar nicht NUR um die Kinder geht, sondern vor allem auch um den eigenen Stand in der Gesellschaft.

    Manche Eltern besonderer Kinder stehen unter enormem Druck, dass ihre Kinder „mitkommen“, dass sie trotz Behinderung z. B. zügig Laufen können. Es ist den Eltern wichtig, dass trotz Behinderung um jeden Preis nach aussen hin der Anschein der Normalität gewahrt und das besondere Kind, gemessen an gesunden Kindern eine altersgerechten Entwicklung vorweisen kann.
    „Sehr her, mein Kind ist zwar behindert, aber es ist nicht so schlimm, denn, seht alle her, es kann auch schon dies und jenes…“ Dafür kann hinter verschlossenen Türen schon mal stillschweigend mit Vojta brutal die Seele gebrochen werden. Hauptsache nach aussen scheint die körperliche Entwicklung normal….

    Ob das besondere Kind diesen und jenen körperlichen Entwicklungsschritt zu Glücklichsein überhaupt bereits zu diesem Zeitpunkt braucht, oder es für die Eltern einfach gesellschaftskonform den allgemeinen Anforderungen eines gesunden Kindes gerecht werden soll, wird nicht hinterfragt. Warum müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Kinder das gleiche können?

    Nach einigen Gesprächen mit betroffenen Eltern verstärkt sich bei mir mit Entsetzen der Eindruck, dass oft dieser Anschein einer angeblichen Normalität und altersgerechten Entwicklung im gesellschaftlichen Vergleich im Vordergrund steht.
    Zuhause täglich 4 Mal brutal den Willen des Kindes zu brechen, anstatt ihm Liebe, Geborgenheit und Sicherheit zu geben und das Wissen, dass es angenommen ist, auch mit Behinderung, wird dadurch doch unmöglich!

    Vojta – in meinen Augen ein Armutszeugnis. Ein Zeugnis für mangelndes Selbstbewusstsein und einen Komplex der Eltern, im Zeitalter der perfekten Designer-Babys auch in der Öffentlichkeit zu dem eigenen, dem besonderen Kind und dessen Individualität und vor allem seiner individuellen Entwicklung zu stehen und es in seinem eigenen Tempo zu fördern, es so so zu lieben, respektieren und vor allem es anzunehmen so wie es ist.
    Gruß,
    Maja

  5. Alice sagt:

    An die Vojta-Gesellschaft:
    Stellen Sie sich vor…
    Sie haben in einem fremden Land einen Unfall bei dem Sie mehrere Brüche erlitten haben. Sie kommen in eine Art Krankenhaus und können sich wegen Ihren Brüchen nicht bewegen. In Ihr Zimmer kommen drei Personen hinein; die Sprache, die sie sprechen, können Sie nicht verstehen. Die Personen scheinen nett zu sein, also fühlen Sie sich im ersten Moment sicher, ist auch besser so, schließlich können Sie ja nicht weg. Auf einmal halten zwei dieser Personen Sie fest, die dritte drückt mit voller Kraft auf eine der gebrochenen Stellen. Sie schreien los, da es fürchtbar weh tut, erkennen aber mit entsetzen dass diese Person Ihnen mit Absicht weh tut. Warum sie Ihnen weh tut, das können Sie nicht verstehen, da sie sonst zu Ihnen sehr nett ist, bringt Ihnen was zu essen und lächelt Sie an. Natürlich lächeln Sie zurück, einerseits da die Person ja nett ist und andererseits weil Sie ans Bett gefesselt sind und auch keine Auskunft erhalten, wann Sie da weg dürfen. Und vier mal am Tag können Sie soviel Grinsen wie Sie wollen, Sie werden festgehalten und man tut Ihnen weh. Und das über mehrere Monate hinweg… Wie lange dauert es bis Sie verzweifeln? Glauben Sie wirklich, dass Sie danach derselbe Mensch sein werden?
    Warum sollen Babys so eine Situation weniger bedrohlich empfinden, zumal sie noch weniger verstehen warum man sie quält? Oder sind Babys in Ihren Augen nur „halbe Menschen“, für die andere Gesetze gelten (sollten)?
    Autoritäre Eltern und fehlende Ängstlichkeit sind noch keine Beweise für psychische Gesundheit.

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