Übertragungsfokussierte Psychotherapie – Transference Focused Psychotherapy (TFP) nach Kernberg

Die „Transference Focussed Psychotherapy (TFP)“ heißt auch „Übertragungs-fokussierte Borderline-Therapie“. (Nicht verwirren lassen: Auch die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie wird mit TfP abgekürzt.) Die Übertragungsfokussierte Psychotherapie ist eine spezielle Form der psychodynamischen (= tiefenpsychologischen) Psychotherapie, bei der sich Therapeut und Patient auf die Übertragung und die Gegenübertragung konzentrieren. Eigentlich ist es also Psychoanalyse. Eine typische Frage des Analytikers lautet zum Beispiel: „Und wie ist es für Sie hier bei mir? Bin ich nun auch jemand, der Sie nicht akzeptiert, so wie Ihr Chef es tut?“ Vollständig entwickelt wurde die TFP im Rahmen des Psychotherapy Research Project (springerlink) der Menninger Foundation von John F. Clarkin (Borderlinedisorders.com, PDF), Frank E. Yeomans (FrankYeomans.com) und Otto F. Kernberg.

Der Psychotherapeut bietet sich dem Patienten als eine Bezugsperson an, die nicht wegläuft. In Ruhe können Patient und Therapeut genau beobachten, wie die therapeutische Beziehung gestaltet wird. Man kann davon ausgehen, dass in anderen nahen Beziehungen Ähnliches passiert.

In einer übertragungsfokussierten Psychotherapie (also auch in der Psychoanalyse) erfahren wir, dass wir uns vielleicht selbst als Opfer erleben und den Therapeuten als Täter oder als den Mächtigen. Vielleicht erleben wir auch, wie wir in unserer Angst und Abwehr den Therapeuten ständig angreifen und dabei selbst zum „Täter“ werden. Wird uns so etwas bewusst, gewinnen wir wieder mehr Macht darüber, wie wir Beziehungen gestalten. Unser Erleben kann sich dadurch verändern, sodass wir wieder mehr Lebensfreude empfinden.

Vom Teilobjekt zum ganzen Menschen

Vielleicht sind wir in unserer inneren Not auch so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir den anderen kaum sehen können. Ähnlich wie uns bei Zahnschmerzen die Zahnschmerzen des anderen „egal“ sind und wir Hilfe suchen, sehen wir uns im Schlechtgehen oft nur noch selbst. Der andere, z.B. der Therapeut, ist dann für uns nur noch der Hilfe-Gebende, der Beruhiger, der Trost-Spendende, der Regulierer. So ist die Mutter für den hungrigen Säugling auch manchmal nur die „Brust-Geberin“. Die anderen sind für uns sozusagen nur „Teilobjekte“.

Irgendwann, wenn es uns besser geht, sind wir vielleicht ganz betroffen darüber, dass wir den anderen nicht als „Ganzes“ gesehen haben, dass wir nicht gesehen haben, wie auch der andere oft leidet. Solange wir den anderen als „Teilobjekt“ betrachtet haben, haben wir ihn danach beurteilt, ob er uns unseren Schmerz nehmen kann oder nicht – je nach Ergebnis war der andere dann „nur unfähig“ oder „nur genial“. Sobald es uns wieder besser geht, sehen wir, dass der andere auch mal Kopfschmerzen und Grenzen hat. Sobald sich der andere selbst wieder als „Ganzes“ wahrgenommen fühlt, kann er mit uns wieder leichter und besser gelaunt in Beziehung treten. Es entsteht dann echtes, gegenseitiges Interesse.

Auf solche Vorgänge im Hier und Jetzt und über die Zeit konzentriert sich die Transference Focussed Psychotherapy (TFP, egal, ob mit einem oder zwei „s“), die auf den Psychoanalytiker Otto Kernberg und Kollegen zurückgeht. In der Therapie entsteht aus dem „Entweder-Oder“ ein „Sowohl-als-auch“.

Verwandte Artikel in diesem Blog:

Links:

Michael Ermann (2004):
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Kohlhammer Stuttgart 2004: 448-449

TFP-Institut München
Psychodynamische Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeit
www.tfp-instistut-muenchen.de

Otto F. Kernberg, Frank E. Yeomans, John F. Clarkin and Kenneth N. Levy (2008):
Transference focused psychotherapy: Overview and update
(New York Presbyterian Hospital, 21 Bloomingdale Road, White Plains, New York 10605, USA)
International Journal of Psychoanalysis (2008) 89: 601-620
PDF auf FrankYeomans.com

Dieser Beitrag erschien erstmals am 22.7.2012
Aktualisiert am 15.12.2023

One thought on “Übertragungsfokussierte Psychotherapie – Transference Focused Psychotherapy (TFP) nach Kernberg

  1. elmo sagt:

    … beängstigend und ermutigend zugleich, danke für diesen Beitrag!

Schreibe einen Kommentar